4 Jahre Brexit

    „Wir vermissen Großbritannien als wichtigen Partner“

    Heute vor vier Jahren, am 31. Januar 2020, trat das Vereinigte Königreich aus der EU aus. Anlässlich des Jahrestages erklärt VDA-Expertin Dr. Karoline Kampermann im Interview, inwieweit der Brexit die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen UK und der EU verändert hat und was das für die deutsche Automobilindustrie bedeutet.

    Heute vor vier Jahren, am 31. Januar 2020, trat das Vereinigte Königreich aus der EU aus. Anlässlich des Jahrestages erklärt VDA-Expertin Dr. Karoline Kampermann im Interview, inwieweit der Brexit die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen UK und der EU verändert hat und was das für die deutsche Automobilindustrie bedeutet.

    31. Januar 2024

    Infolge des Brexits hat sich die britische Wirtschaftsleistung enorm verschlechtert. Wie sieht die bisherige Brexit-Bilanz für Deutschland und Europa aus?

    Der Brexit hat insgesamt sowohl politisch als auch wirtschaftlich entsprechende Spuren hinterlassen. Wir vermissen Großbritannien nach über 40 Jahren in der EU als wichtigen Partner, mit dem Deutschland häufig politisch an einem Strang ziehen konnte. Dieser Partner fehlt auch aus wirtschaftlicher Sicht im Binnenmarkt und in der Zollunion, aus denen Großbritannien zum 1. Januar 2021 ausgetreten ist. Die britische Wirtschaft leidet bis heute massiv unter dem Brexit und auch politisch spaltet die Entscheidung weiterhin das Land.

    Erschwerend kam hinzu, dass der Brexit mit der Coronapandemie zeitlich zusammenfiel. Produktionsausfälle durch Lockdowns und Probleme bei der Beschaffung von Vormaterialien und Rohstoffen führten zu Verwerfungen in den Lieferketten. Heute gibt es viel zusätzliche Bürokratie, die die Unternehmen auf UK- und EU-Seite erfüllen müssen. Zusammenfassend kann man sagen: Der Brexit ist nach wie vor eine große Herausforderung und beide Seiten des Ärmelkanals haben weiterhin mit den Nachwirkungen zu kämpfen.

    Du sagst, die deutsche Automobilindustrie vermisst das Vereinigte Königreich als wichtigen Partner in der EU. In welchen Bereichen konkret?

    Wir haben ein ähnliches Verständnis vom Wert eines freien und fairen Handels. Für die Automobilindustrie in Deutschland mit einem Exportanteil von circa 75 Prozent ist der Abschluss von Freihandelsabkommen mit Drittstaaten und ein möglichst ungehinderter Zugang zu anderen Märkten essenziell. Aufgrund seiner Geschichte ist Großbritannien immer schon eine starke Freihandelsnation gewesen. Im Schulterschluss mit anderen liberal ausgerichteten Mitgliedstaaten, wie etwa den Niederlanden, Dänemark, Schweden und oft auch Deutschland hat sich UK für offene Märkte, bessere Handelsbeziehungen und den Abbau von Handelshemmnissen eingesetzt. Gerade in der aktuellen Zeit, in der Bündnisse und Allianzen wegen der geopolitischen Risiken eine ganz wichtige neue Rolle spielen, ist es umso bedauerlicher, dass Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU ist. Auch die Stärkung und Vertiefung des gemeinsamen Binnenmarktes war immer ein wichtiges Anliegen der Briten, das wir geteilt haben.

    Welche Auswirkungen hat der Brexit konkret auf die deutsche Automobilindustrie?

    Der UK-Markt ist für die deutschen Automobilhersteller und -zulieferer nach wie vor sehr wichtig. Dazu einige Zahlen aus dem ersten Halbjahr 2023: Deutschland hatte einen Handelsbilanzüberschuss von 8,6 Milliarden Euro im Handel mit Automobilgütern mit UK. Deutsche Hersteller exportierten 65.000 E-Autos aus Deutschland nach UK – damit ist UK das wichtigste Exportland noch vor den USA. Insgesamt sind das 31 Prozent aller Pkw-Exporte der deutschen Hersteller.

    Fakt ist: Die absoluten Zahlen im Handel mit UK haben sich seit dem Brexit schon deutlich verringert. Dabei sind die Wertschöpfungsketten der Hersteller und Zulieferer stark über den Ärmelkanal hinweg ausgeprägt. Dies gilt im Übrigen auch für die britischen Zulieferer. Manchmal überqueren Kfz-Teile mehrmals den Kanal, bevor das Fahrzeug fertiggestellt ist. Dies zeigt, wie eng die britischen Fabriken mit Fabriken in der EU 27 verbunden sind. Wir haben lange befürchtet, dass es zum harten Brexit kommt, was geradeswegs mit neu eingeführten hohen Zöllen verbunden gewesen wäre – das wäre der Worst Case, nicht nur für unsere Branche. Glücklicherweise wurde am Heiligabend 2020 – kurz vor Ende der Übergangsphase – das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich (englisch: Trade and Cooperation Agreement, TCA) vereinbart. Damit war die unmittelbare Gefahr von Zöllen vom Tisch.

    Und wie sieht es mit der Bürokratie aus?

    Importierte und exportierte Waren müssen aufgrund Großbritanniens Austritt aus der Zollunion beim Zoll angemeldet und Zollformalitäten eingehalten werden. Dabei sind viele Erklärungen und Nachweise auszufüllen und von den Spediteuren mitzuführen beziehungsweise beizubringen. Diese zusätzliche Bürokratie bedeutet einen erheblichen Kosten- und Zeitaufwand und belastet die Unternehmen stark. Hinzu kommt das Ende des freien Personenverkehrs zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Zwar sieht das TCA auch hier gewisse Erleichterungen vor, dennoch gibt es zum Beispiel bei der Erbringung von Dienstleistungen im Vereinigten Königreich weiterhin Einschränkungen und Genehmigungserfordernisse. Das alles wäre ohne den Brexit nicht nötig.

    Bleiben wir beim Thema Zölle. Am 21. Dezember 2023 gab es nach intensiven Diskussionen eine gute Nachricht: Kurz nachdem der Rat der EU die Verlängerung der geltenden sogenannten Ursprungsregeln für Elektrofahrzeuge bis Ende 2026 gebilligt hatte, stimmte auch der im Rahmen des TCA eingerichtete Partnerschaftsrat von EU und Vereinigtem Königreich für diese Entscheidung. Bevor wir tiefer einsteigen: Was sind diese Ursprungsregeln genau?

    Ursprungsregeln beinhalten häufig sehr komplexe Vorgaben und sind ein wichtiger Bestandteil von Freihandelsabkommen. Die Ursprungsregeln legen fest, unter welchen Bedingungen eine Ware von den Vorteilen des Freihandelsabkommens profitieren kann. Sind die Bedingungen erfüllt, kommt etwa die im Abkommen vereinbarte Zollfreiheit zur Anwendung. Durch sie wird – vereinfacht gesagt – sichergestellt, dass die Güter nur begünstigt werden, wenn sie innerhalb der Vertragsstaaten eine gewisse Wertschöpfung generieren.

    Was bedeutet das konkret für die Elektrofahrzeuge im Handel mit dem Vereinigten Königreich?

    Für Elektrofahrzeuge gestalten sich die im TCA vorgesehenen Ursprungsregeln nicht zuletzt aufgrund der besonderen Berücksichtigung des Ursprungs der Batterien sowie der Batterievormaterialien sehr komplex und herausfordernd. Zudem sah das TCA zunächst eine Verschärfung der Anforderungen an die europäische beziehungsweise britische Wertschöpfung bei Elektrofahrzeugen in drei Phasen vor. Ziel der Europäischen Kommission war es, für die europäischen Batteriehersteller und die Automobil- und Chemieindustrie über die Ursprungsregeln einen stärkeren Anreiz für den Aufbau der europäischen Batteriewertschöpfungskette zu schaffen.

    Die deutschen Automobilunternehmen haben sich dem weiteren Auf- und Ausbau eines europäischen Wertschöpfungsnetzwerks für Batterien verschrieben. Gleichzeitig war der europäischer Batteriemarkt in den letzten Jahren von vielen Unsicherheiten geprägt, wie Covid-19, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, hohen Energiekosten, logistischen Schwierigkeiten und weiteren Herausforderungen. Diese Unsicherheiten haben die Entwicklungen stark beeinflusst und prägen den Batteriemarkt auch weiterhin. Somit wurde im letzten Jahr immer deutlicher, dass die Bedarfe der Automobilindustrie von europäischen Batterieprojekten bislang nicht gedeckt werden können. Somit hätten die ab 2024 verschärften Ursprungsregeln nicht erfüllt werden können – die unmittelbare Folge wären Zölle auf den Handel mit Elektrofahrzeugen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ab dem 1. Januar 2024 gewesen.

    Das TCA sieht für die Automobilindustrie Ursprungsregeln für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sowie für die zunehmend elektrifizierten Hybrid- und vollelektrischen Fahrzeuge vor. Es umfasste dabei zunächst zwei Phasen mit produktspezifischen Übergangsregeln:

    • Phase I für den Zeitraum 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2023 und
    • ab dem Jahr 2024 (= Phase II der Übergangsregeln bis zum 31. Dezember 2026) waren erhöhte Anforderungen an die Ursprungsregeln für Batteriezellen und Batteriepacks vorgesehen. Diese Phase wurde nun ausgesetzt.
    • Vielmehr treten ab dem 1.Januar 2027 (Phase III, finale Regeln) die dann vorgesehenen verschärften finalen Ursprungsregeln unmittelbar in Kraft.

    Inwieweit hat sich der VDA dafür engagiert, das Inkrafttreten der Zölle abzuwenden?

    Der VDA hat sich bei dem gesamten Prozess sehr intensiv engagiert. Wir haben bereits in den Verhandlungen zum TCA betont, dass die Ursprungsregeln für die Elektromobilität den realen Gegebenheiten beim Aufbau der Batteriewertschöpfungsketten Rechnung tragen müssen. VDA-Kolleginnen und -Kollegen aus verschiedenen Fachabteilungen, unseren Gremien sowie zahlreiche weitere Vertreterinnen und Vertreter unserer OEM und Zulieferer haben hier zusammen an einem Strang gezogen. In vielen Gesprächen haben wir seitdem – in enger Abstimmung mit unseren Mitgliedern – Zahlen und Daten geliefert, für eine Verlängerung der geltenden Ursprungsregeln bis 2026 geworben und auf die negativen Auswirkungen von Zöllen für E-Fahrzeuge im Handel mit UK hingewiesen. Daher war es richtig und entscheidend, dass die Bundesregierung dieses Anliegen letztlich unterstützte und sich gegenüber der EU-Kommission und weiteren Mitgliedstaaten für die Verlängerung der geltenden Ursprungsregeln einsetzte. Im Dezember ging dann alles ganz schnell: Die Europäische Kommission legte am 6. Dezember einen Vorschlag für die Anpassung des TCA vor. Am 21. Dezember stimmte schließlich nach einigen Verhandlungen der Rat der Mitgliedstaaten offiziell diesem Vorschlag zu. Damit hatte die Kommission das Mandat, dem EU-UK Partnerschaftsrat diesen Vorschlag zu unterbreiten, der ihn quasi in „allerletzter Minute“ annahm.

    Die Automobilunternehmen haben nun drei Jahre Zeit, die nunmehr vorgegebenen Regeln umzusetzen. Zum 1. Januar 2027 werden Ursprungsregeln mit weiter erhöhten Anforderungen an die europäische Wertschöpfung bei Elektrofahrzeugen in Kraft getreten. Eine weitere Verschiebung ist ausgeschlossen. Allerdings gibt es auch noch weiteren Handlungsbedarf: Wichtig für die Unternehmen ist nun, dass die Europäische Kommission und UK kurzfristig für Klarheit und Rechtssicherheit sorgen bei wichtigen Begrifflichkeiten wie etwa dem aktiven Kathodenmaterial.

    Was wären die Folgen, wenn die Verlängerung der Ursprungsregeln nicht eingetreten wäre?

    Diese wären nicht nur für die Unternehmen der Automobilindustrie nachteilig gewesen. Was nicht übersehen werden darf: Wären die E-Fahrzeuge ab diesem Jahr beim Im- und Export zwischen EU und UK mit zusätzlichen Zöllen belastet gewesen, hätte das für die Verbraucherinnen und Verbraucher in vielen Fällen Preiserhöhungen bedeutet. Durch Zölle wären gerade die Kundinnen und Kunden benachteiligt worden, die sich für einen Wechsel zur E-Mobilität entschieden haben. Für den Hochlauf der E-Mobilität und die Dekarbonisierung des Verkehrs in Europa und die Transformation insgesamt wäre das also ein herber Rückschlag gewesen – und es wäre natürlich in Wettbewerbsnachteil gegenüber den asiatischen Wettbewerbern.

    Welche weiteren Chancen und Risiken sind in den nächsten Jahren durch den Brexit zu erwarten?

    Die Unternehmen der Automobilindustrie – Hersteller wie Zulieferer – setzen weiterhin alles daran, die Batteriewertschöpfungsketten in Europa weiter aufzubauen und zu stärken, um das „Brexit-Gespenst“ von Zöllen bei der Elektromobilität nachhaltig zu vermeiden. Darüber hinaus bleiben wir als Automobilindustrie mit unseren britischen Partnern im engen Austausch. So hat der VDA den Brexit konkret zum Anlass genommen, um gemeinsam mit dem britischen Automobilverband SMMT die UK-Germany-Automotive-Working-Group einzurichten. Unterstützt werden wir von den jeweiligen Wirtschaftsministerien in London und Berlin.

    Oberstes Ziel dieser Working Group ist es, die bestehende enge Beziehung im Bereich der Automobilindustrie aufrecht zu erhalten und eine Plattform zu bieten, Themen, die die Automobilindustrie auf beiden Seiten beschäftigen, untereinander sowie wo geboten auch mit der Regierungsseite zu diskutieren. Im November waren wir auf Einladung von SMMT mit einer Delegation aus VDA, Mitgliedern und Wirtschaftsministerium zu einem sehr informativen Austausch in London und freuen uns dieses Jahr auf den Gegenbesuch unserer britischen Freundinnen und Freunde in Berlin. Dies ist auch ein Angebot an unsere Mitglieder: Kommen Sie bei Interesse an der Working Group und einem Austausch mit UK gern auf uns zu!

    Wirtschaftspolitik, Außenwirtschaft, Mittelstand und Steuern

    Dr. Karoline Kampermann

    Abteilungsleiterin