Gastbeitrag von Andreas Rade
„Wir brauchen eine Reform der THG-Quote“
Um die Klimaziele zu erreichen, darf der Verkehr nicht nur auf batterieelektrische Lösungen setzen, argumentiert Andreas Rade, VDA-Geschäftsführer Politik & Gesellschaft. Um das Potenzial von klimaneutralen Kraftstoffen zu heben, müsse die Treibhausgasminderungsquote (THG) geändert werden.
Um die Klimaziele zu erreichen, darf der Verkehr nicht nur auf batterieelektrische Lösungen setzen, argumentiert Andreas Rade, VDA-Geschäftsführer Politik & Gesellschaft. Um das Potenzial von klimaneutralen Kraftstoffen zu heben, müsse die Treibhausgasminderungsquote (THG) geändert werden.
Erschienen am 11. September 2024 bei Professional Briefing von Table.Media
Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Die Automobilindustrie steht entschlossen hinter diesem Ziel. Wir sind überzeugt, dass Innovationen und Investitionen auf dem Weg dorthin zentral sind und investieren daher allein von 2024 bis 2028 rund 280 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung.
Um die gesetzten Klimaziele zu erreichen, brauchen wir jede Technologie. Der Hochlauf der Elektromobilität wird dabei sicher den entscheidenden Beitrag leisten – erneuerbare Kraftstoffe und Wasserstoff sind aber weitere interessante Optionen. Hinzu kommt insbesondere für die Defossilisierung des Fahrzeugbestands: Mit erneuerbaren Kraftstoffen kann die bestehende Flotte weitgehend klimaneutral betrieben werden.
Anreize durch THG-Quote müssen stimmen
Damit dieser Hebel genutzt werden kann, müssen nun die richtigen Entscheidungen getroffn und Anreize gesetzt werden. Ein zentraler Hebel für den Klimaschutz im Verkehrssektor ist die Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote). Richtig ausgestaltet, kann sie Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energieträger für den Verkehrssektor auslösen. In der aktuellen Form ist sie allerdings nicht ambitioniert genug und wirkt daher inzwischen eher Investitionen hemmend.
Um dies zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Funktionsweise: Die THG-Quote gibt der Mineralölwirtschaft jährliche CO₂-Einsparungsziele vor. So müssen die CO₂-Emissionen in diesem Jahr um 9,25 Prozent sinken; bis zum Jahr 2030 steigt der Wert auf 25,1 Prozent an. Die Ziele können durch das Inverkehrbringen von Ladestrom, Biokraftstoffen, Wasserstoff und E-Fuels erreicht werden.
Handel mit Zertifikaten
Alternativ können verpflichtete Unternehmen die Ziele durch Dritte mittels Zertifikaten am THG-Quotenhandel erreichen. Diese Zertifikate werden über Dienstleister bei Haltern von E-Autos, E-Lkw und E-Bussen generiert und an die Mineralölwirtschaft verkauft. So entstehen Investitionshebel mit Blick auf die Ladesäuleninfrastruktur sowie für die Produktion von Biokraftstoffen, Wasserstoff und E-Fuels.
Der THG-Quotenpreis bildet sich frei am Markt – die Einflussfaktoren dabei sind Angebot und Nachfrage erneuerbarer Energieträger im Verkehrssektor, die Höhe der THG-Quote und ihre mögliche Übererfüllung. Im Grundsatz gilt also, dass gerade in Zeiten der aktuell angespannten Haushaltslage die THG-Quote ein geeignetes Instrument zur CO₂-Reduktion ist, da sie ohne finanzielle Subventionen und Steuergelder auskommt.
Mehrfachanrechnung problematisch
Doch was hat die Höhe der THG-Quote damit zu tun? Dass die THG-Quote jüngst übererfüllt wurde, ist nur teilweise auf ausreichend erneuerbare Energieträger zurückzuführen. Bestimmte Energieträger werden nämlich beim Inverkehrbringen mehrfach angerechnet – bei Ladestrom, Wasserstof und E-Fuels sogar mit dreifachem Faktor. Im Klartext: Eine Kilowattstunde Strom, ein Kilogramm Wasserstof und ein Liter E-Fuel zählen jeweils so viel wie drei. Auf dem Papier ist der Klimaschutz somit deutlich größer als in der Realität.
Für die Phase des Markthochlaufs ist dieses Prinzip sinnvoll, weil es Investitionen in die jeweiligen Technologien anreizt. Doch bei steigenden Mengen erneuerbarer Energieträger geht die Schere zwischen realem und schöngerechnetem Klimaschutz immer weiter auf. Fakt ist allerdings: Das Klimaschutzgesetz schreibt für 2045 reale Netto-Treibhausgasneutralität vor! Deshalb ist der langfristige Einsatz von Mehrfachanrechnungen nicht zielführend, im Gegenteil: Jetzt braucht es Investitionen in realen Klimaschutz.
Zu viele Zertifikate auf dem Markt
Bei einer zu hohen Verfügbarkeit erneuerbarer Energieträger im Verkehrssektor wirkt die THG-Quote wie ein Deckel, der Investitionen bremst und den THG-Quotenpreis sinken lässt. Sind die Ziele erfüllt, besteht kein Anreiz mehr, darüber hinaus zu investieren. Mehrfachanrechnungen verstärken diesen Effekt, weil sie die Zielerfüllung ohne Substanz beschleunigen. Übersteigt die Anzahl verfügbarer Zertifikate die Nachfrage am Markt, sinkt der Quotenpreis. Das ist gleich aus zweifacher Hinsicht problematisch: Zum einen kann das Inverkehrbringen fossiler Energieträger durch den Zukauf von Zertifikaten bilanziell ausgeglichen werden. Das hält das fossile Geschäft am Leben.
Zum anderen hemmt ein zu niedriger Quotenpreis den Hochlauf von Null-Emissions-Fahrzeugen, beispielsweise Brennstoffzellen-Lkw. Diese sind gegenwärtig noch teurer als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Null-Emissions-Fahrzeuge können am THG-Quotenhandel partizipieren. Die THG-Quotenpreise liegen derzeit bei ca. 100 Euro für Pkw, 1.100 Euro für Nutzfahrzeuge und 2.400 Euro für Busse. Im letzten Jahr waren die THG-Quotenpreise etwa dreimal so hoch. Grund für den Preisverfall ist eine Übererfüllung der THG-Quote. Durch Teilnahme am THG-Quotenhandel kann über die Haltungsdauer der Fahrzeuge ein erheblicher Teil der Mehrkosten kompensiert werden. Heißt: Über die Einnahmen der THG-Quote werden saubere Fahrzeuge finanziert.
Mehr Ehrgeiz und Dynamik für die THG-Quote
Aus diesen Mechanismen leiten sich drei Schlussfolgerungen ab: Erstens muss die THG-Quote ambitionierter sein. Hohe Ziele mobilisieren langfristig Investitionen in erneuerbare Energieträger. Unter Berücksichtigung von Mehrfachanrechnungen muss auch die THG-Quote entsprechend zusätzlich ansteigen, um den realen Anteil erneuerbarer Energieträger anzureizen. Die aktuelle THG-Quote steigt bis 2030 auf 25,1 Prozent; die EU plant eine CO₂-Reduzierung von 90 Prozent bis 2040, Deutschland von 100 Prozent bis 2045. Der Sprung von 25 Prozent 2030 auf 90 Prozent in 2040 ist kaum zu erreichen, wenn wir jetzt nicht investieren.
Zweitens muss die THG-Quote nach oben dynamisch sein. Bei Übererfüllung muss sie durch einen festgelegten Mechanismus automatisch ansteigen, um Investitionsanreize in erneuerbare Energieträger aufrechtzuerhalten. Sonst wirkt die THG-Quote bei unerwartet großen Mengen erneuerbarer Energieträger wie ein Deckel, der Investitionen bremst und den THG-Quotenpreis sinken lässt. Die Erfüllung der THG-Quote der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass vor allem die verfügbaren Energiemengen, etwa bei Ladestrom und fortschrittlichen Biokraftstoffen, deutlich unterschätzt wurden.
2027 guter Zeitpunkt für Reform
Drittens müssen Mehrfachanrechnungen schrittweise reduziert werden. Dadurch wird die Diskrepanz zwischen realem und virtuellem Klimaschutz verkleinert. Der Klimaschutz darf nicht mehr nur auf dem Papier stattfinden. Der geplante Review 2027 wäre ein guter Zeitpunkt, Mehrfachanrechnungen schrittweise zurückzufahren, um die Schere zwischen virtuellem und realem Klimaschutz idealerweise bis 2030 zu schließen. Eine Ausnahme sollte für Wasserstoff gelten, der sich tatsächlich noch im Markthochlauf befindet. Da es auch 2030 noch keine signifikanten Mengen an grünem Wasserstoff im Verkehrssektor geben wird, sollten Mehrfachanrechnungen hier in Stufen bis Ende der 2030er Jahre entfallen.
Klar ist jedoch auch: Quoten allein begünstigen noch nicht den Hochlauf erneuerbarer Energieträger. Daneben braucht es flankierende Maßnahmen, beispielsweise eine Reform der Energiesteuerrichtlinie und einen langfristigen Zielpfad bis 2045.
Als marktbasiertes Instrument kommt die THG-Quote ohne einen einzigen Cent Steuergeld aus. Mit einem entsprechenden Ambitionsniveau und Dynamik bei der Erfüllung wird sie Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energieträger auslösen. Bei einer Neugestaltung der THG-Quote ist es entscheidend, Investitionsanreize für den Hochlauf erneuerbarer Energieträger im Verkehrssektor zu setzen – und den Hochlauf von Null-Emissions-Fahrzeugen sicherzustellen.