VDA-Präsidentin Müller: „Deutschland muss auch Spitzenreiter bei Infrastruktur und Investitionen werden“
Deutsche Autoindustrie ist Treiber der Transformation – Transformation muss sozial verträglich gestaltet werden und Job- und Wachstumsmotor sein – Gesetzesfolgenabschätzung unzureichend – Nachholbedarf bei Ladeinfrastruktur und Ökostrom
Das Bundeskabinett hat binnen zweier Wochen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein überarbeitetes Klimaschutzgesetz mit höheren Treibhausgasemissionszielen für 2030 und einem auf 2045 vorgezogenen Ziel der Treibhausgasneutralität auf den Weg gebracht.
„Das Klimaschutzgesetz wird sich spürbar auf alle Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft auswirken – auch auf die Beschäftigten und die Verbraucher. Für die sozialen Konsequenzen gibt es durch den Gesetzgeber in diesem überstürzten Gesetzgebungsverfahren keine ausreichende Folgenabschätzung. Klimaschutz ist eine zentrale Herausforderung, auch für die Industrie. Wir unterstützen die Pariser Klimaschutzziele ausdrücklich und treiben daher den Klimaschutz engagiert voran, mit erheblichen Innovationen und Investitionen. Wir haben Verantwortung für das Klima, aber auch für die Beschäftigten und ihre Familien. Wirkliche Nachhaltigkeit berücksichtigt die verschiedenen Belange. Die Transformation muss daher auch sozial gestaltet werden“, sagt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).
Entscheidend ist jetzt, dass die Rahmenbedingungen zur Zielerreichung verbessert werden und alle Beteiligten ihre Aufgaben erfüllen:
„Auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität ist Deutschland weit vorn. Wir sind bereits Europameister bei Elektromobilität, Deutschland hat unter den wichtigen E-Automärkten das weltweit zweithöchste Wachstum. Aber schon jetzt baut Deutschland viel zu wenige neue Ladesäulen, und fossilfreier Strom im Ladenetz ist noch nicht absehbar. Es ist richtig, dass die Bundesregierung im Rahmen des ‚Klimapakts Deutschland‘ hier prioritär ansetzen will, es müssen aber konkrete Maßnahmen erfolgen.
Mit den neuen Zielen wird die Transformation weiter beschleunigt. Das bringt auch erhebliche Belastungen mit sich. Alle Akteure müssen jetzt schneller liefern, damit die Unternehmen die Ziele auch erfüllen können und die Menschen nicht enttäuscht werden“, erklärt Müller. Höhere Ziele sind das eine, die Instrumente und Maßnahmen, die erforderlich sind, um diese Ziele zu erreichen, sind das andere. „Jetzt kommt es darauf an, dass wir auch Spitzenreiter bei Infrastruktur und Investitionen werden“, so Müller.
Das bedeutet konkret: schnellerer Ausbau von Ökostrom, schnellerer Ausbau der Ladeinfrastruktur, schnellere Nutzung von Wasserstoff und Electrofuels (E-Fuels). Und schließlich: schnellere Digitalisierung. Auch in der Digitalisierung des Verkehrs stecken große Potenziale für den Klimaschutz. Das wird eine wesentliche Aufgabe im Rahmen der von der Bundesregierung beschlossenen „Konzertierten Aktion klimafreundliche Mobilität“ sein. Insbesondere die sogenannte „Booster-Ladeinfrastruktur“, aber auch der beschleunigte Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft weisen in die richtige Richtung.
Klar ist aber auch: „Klimaschutz kostet Geld. Deswegen müssen Effizienzpotenziale genutzt und Belastungen minimiert werden. Marktwirtschaftliche Instrumente spielen immer noch eine viel zu geringe Rolle bei der Erreichung der Klimaziele. Die EU-Kommission plant die Ausdehnung des EU–Emissionshandels auf den Verkehrssektor. Auch die Bundesregierung sollte dieses Instrument in den Blick nehmen. Im Brennstoffemissionshandelsgesetz sollte das Festpreissystem möglichst schnell in ein Marktpreissystem überführt werden“, so Müller.
„Die Automobilindustrie investiert bereits jetzt wie keine zweite Branche in die Transformation. Mehr als 150 Milliarden investieren die Unternehmen bis 2025 in E-Mobilität, die Digitalisierung, Hybridtechnologie und die Entwicklung von E-Fuels aus nachhaltigen Energiequellen. Das entspricht der Summe, die die Bundesregierung insgesamt in diesem Zeitraum in Bildung und Forschung inklusive Raumfahrt investiert. Umso mehr brauchen wir deshalb Technologieoffenheit. Alle Technologien werden gebraucht, und die Potenziale von Innovationen müssen in allen Bereichen genutzt werden“, fordert Müller.
Die Auswirkungen der Transformation auf Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze können erheblich sein. Daher erfordert eine Beschleunigung beim Klimaschutz auch eine industriepolitische Begleitung, die den Transformationsprozess flankiert.
Die im Gesetz angedachten jahresscheibenscharfen Sektorziele wirken planwirtschaftlich und werden dem dynamischen Innovations- und Investitionsgeschehen nicht gerecht. Es ist daher ein richtiger Schritt, wenn – wie vorgesehen – im Rahmen eines Berichts an den Deutschen Bundestag im Jahr 2028 untersucht werden soll, ob ab dem Jahr 2031 auf die Zuweisung von Jahresemissionsmengen an einzelne Sektoren verzichtet werden kann.
„Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil die Notwendigkeit sorgfältiger und langfristiger Planung betont. Wichtig ist daher auch in diesem Verfahren eine sorgfältige Gesetzesfolgenabschätzung. Diese ist bisher ausgeblieben“, so Müller.