Unterstützung der Sanktionen – erhebliche Auswirkungen des Krieges
Zum Krieg in der Ukraine und den wirtschaftlichen Auswirkungen auf die deutsche Automobilindustrie erklärt VDA-Präsidentin Hildegard Müller:
„Die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie verurteilen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Unsere Gedanken und unsere Solidarität sind bei den betroffenen Menschen. Es sind unsere europäischen Nachbarn, die ein Recht auf eine selbstbestimmte Entwicklung und Zukunft ihres Landes haben!
Dieser Krieg stellt einen klaren Bruch des Völkerrechts dar, der Überfall auf die Ukraine und das brutale Vorgehen des russischen Staates gegen die Zivilbevölkerung müssen sofort gestoppt werden. Wir unterstützen ausdrücklich die Sanktionen der EU. Schnelle Hilfe und ein Ende der Kampfhandlungen müssen im Vordergrund stehen, wirtschaftliche Fragen stehen jetzt dahinter zurück.
Wir befinden uns im engen Gespräch mit der Bundesregierung, um ein Bild der Lage zu geben und die praktischen Fragen der Unternehmen, zum Beispiel zur Umsetzung der Sanktionen, einzubringen. Mit unseren Mitgliedsunternehmen sind wir im ständigen Austausch, um ein Gesamtbild über die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kriegsgebiet und die ökonomische Lage zu erstellen.
Im Folgenden ein Überblick über Auswirkungen, die wir zum jetzigen Zeitpunkt benennen können.
1. Marktpräsenz
Die deutschen Hersteller haben im vergangenen Jahr etwas mehr als 40.000 Fahrzeuge in beide Länder – Russland und Ukraine – exportiert. Konkret waren es 4.100 Pkw in die Ukraine und 35.600 Pkw nach Russland. Dies entspricht 1,7 Prozent aller aus Deutschland exportierten Pkw. Russland steht bei den Pkw-Exporten aus Deutschland auf Platz 18.
In Russland selbst produzierten die deutschen Hersteller 170.000 Pkw im Jahr 2021, die weitgehend auch dort abgesetzt wurden. Der Marktanteil deutscher Hersteller in Russland liegt bei knapp 20 Prozent.
Die deutsche Automobilindustrie – Hersteller und Zulieferer zusammengefasst – unterhält etwa 43 eigene Fertigungsstandorte in Russland und sechs in der Ukraine. Zudem gibt es weitere internationale Werke, die Komponenten zuliefern.
2. Auswirkungen der Kriegshandlungen
Die Kriegshandlungen Russlands führen zur Unterbrechung von Lieferketten. Der Transport ist eingeschränkt, die Produktion in Zulieferbetrieben fällt aus.
Kabelbäume
Kurzfristig ergibt sich eine Reduzierung der Zulieferung von Kabelbäumen. Bei den Kabelbäumen handelt es sich um ein komplexes und teils für jedes Fahrzeugmodell individuell angefertigtes Bauteil. Hier gibt es kaum Lagerbestände. Neben Tunesien versorgt vor allem die Ukraine europäische Hersteller mit diesem Bauteil. Kabelbäume sind komplexe Komponenten, daher kann die Produktion nicht kurzfristig umdisponiert oder anderweitig substituiert werden.
Rohmaterialien
Langfristig wird die Automobilindustrie mit Knappheit und Preisanstieg bei Rohmaterialien konfrontiert sein. Dies betrifft insbesondere die folgenden Rohstoffe aus Russland und der Ukraine:
Neongas: Die Ukraine ist einer der wichtigsten Neonlieferanten. Wir erwarten Auswirkungen auf die europäische Halbleiterproduktion, da Chips bereits jetzt Mangelware sind. Bei der Halbleiterproduktion kommen Hochleistungs-Laser zum Einsatz, die unter anderem das Edelgas benötigen.
Palladium: Unter anderem könnte es uns an Palladium aus Russland für Katalysatoren fehlen. Etwa ein Fünftel des nach Deutschland importieren Palladiums kommt aus Russland.
Nickel: Ein wichtiger Rohstoff zur Produktion von Lithium-Ionen-Batterien ist Nickel. Damit ist dieser Rohstoff unersetzbar für den Hochlauf der Elektromobilität. Laut Prognosen wird sich der Bedarf von Nickel vervielfachen. Russland ist unter anderem ein wichtiges Förderland für Nickelerz.
Bei weiteren Rohstoffen und Zulieferungen sind die genauen Auswirkungen derzeit noch nicht quantifizierbar, werden aber von uns geprüft.
Lieferketten
Bei den Vorprodukten waren aufgrund der weltweiten Pandemie bereits vor Kriegsausbruch die Lagerbestände in einigen Bereichen weitgehend erschöpft. Die durch den Krieg hinzukommenden Unterbrechungen bei Zug- und Schiffsverbindungen sowie Einschränkungen im Luftverkehr haben bereits deutliche Auswirkungen auf die Liefer- und Logistikketten, wir erwarten eine Verschärfung von Problemen in der Teileversorgung.
Die Lieferengpässe führen zum Produktionsstopp in vielen Werken der deutschen Hersteller. Die betroffenen Unternehmen kommunizieren die Unterbrechungen ausschließlich selbst.
Zusätzlich geraten die Lieferketten, zum Beispiel nach und aus China, unter Druck, weil auch die Landwege durch die Krisenregion einen Transport zunehmend ausschließen.
Sanktionen
Die Europäische Union, die USA und weitere Staaten weltweit haben Sanktionen gegen Russland und Belarus erlassen. Neue Sanktionen beziehungsweise Verschärfungen sind absehbar, die auf eine weitere Zuspitzung der Lage in der Ukraine reagieren. Die Auswirkungen der Finanzsanktionen betreffen auch die Automobilindustrie. Die handelspolitischen Auswirkungen für die Automobilindustrie sind noch nicht genau abzusehen. Die Unternehmen prüfen fortlaufend ihre Produkte und Lieferketten, um alle aktuellen Sanktionsvorgaben umzusetzen.
Ausblick
Aufgrund der sehr dynamischen Situation ist ein verlässlicher Ausblick schwierig. Fest steht aber: Es wird zu weiteren Beeinträchtigungen bei der Produktion von Fahrzeugen in Deutschland kommen. Deren Umfang kann der VDA aktuell aber noch nicht beziffern.
Die Hersteller und Zulieferer arbeiten mit Hochdruck daran, die Ausfälle und Behinderungen in den Lieferketten zu kompensieren und Alternativen hochzufahren. Eine Fortsetzung der Produktion an alternativen Standorten liegt im Interesse der Kunden, der Beschäftigten, der Unternehmen und eines starken Wirtschaftsstandorts Deutschland und Europa. Wir werden regelmäßig über den Stand berichten.“