VDA-Mittelstandstag in Bonn eröffnet
VDA-Umfrage: Automobiler Mittelstand setzt hohe Erwartungen in Mittelstandspolitik der neuen Bundesregierung
Pressemitteilung
Pressemitteilung
Drei von vier Unternehmen wollen Investitionen verschieben, verlagern oder streichen – Finanzierungsbedingungen sind große Herausforderung
Der 25. Mittelstandstag des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) wurde heute in Bonn eröffnet. Die Konferenz steht in diesem Jahr unter dem Titel „Perspektiven automobiler Wertschöpfung“. An zwei Tagen diskutieren hier Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in Keynotes, Deep Dives und Panel-Diskussionen die Zukunft der automobilen Wertschöpfung.
„Die Zeiten sind herausfordernd: Der internationale Standortwettbewerb verschärft sich zusehends, geopolitische Unsicherheiten nehmen zu und der Protektionismus weltweit wächst. Hinzu kommt die Transformation zur klimaneutralen Mobilität, die den Unternehmen der deutschen Automobilindustrie – und ganz besonders dem automobilen Mittelstand – alles abverlangt. Umso beeindruckter bin ich jeden Tag, mit welcher Innovationskraft, Entschlossenheit, Leidenschaft und hohen Investitionen die Unternehmen den Wandel zur klimaneutralen und digitalen Mobilität von morgen vorantreiben“, so VDA-Präsidentin Hildegard Müller anlässlich der Eröffnung des VDA-Mittelstandstages.
Gitta Connemann MdB, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie und designierte Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, hält am ersten Konferenztag eine Keynote. „Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft. Denn er sichert Arbeits- und Ausbildungsplätze in den Regionen. Und er ist ein Motor für Innovation und Technologie – auch für die Automobilindustrie. Gerade in der Zulieferindustrie finden sich kleine und mittlere Betriebe, die mit Konzernen eine Wertschöpfungskette bilden. Hand in Hand arbeiten sie für die individuelle Mobilität in Deutschland, Europa und der Welt. Die Bundesregierung weiß: Damit dies so bleibt, müssen Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit wieder hergestellt und langfristig gesichert werden. Dafür werden wir Energiekosten und Unternehmenssteuern senken. Wir werden bürokratische Lasten abbauen, Investitionen in Zukunftstechnologien fördern und die digitale Transformation vorantreiben. Zusätzlich setzen wir uns für resiliente Lieferketten und eine Stärkung des europäischen Binnenmarktes ein. Mit politischem Rückenwind werden unsere mittelständischen Unternehmen ihre Position auf dem Weltmarkt behaupten. Denn eines ist klar: Unsere Mittelständler können alles, wenn man sie nur lässt“, so Connemann.
Müller ging in ihrer Rede auch auf die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage ein, die der VDA unter den Automobilzulieferern (Herstellergruppe III) sowie den mittelständisch geprägten Herstellern von Anhängern, Aufbauten und Bussen (Herstellergruppe II) seit dem Frühjahr 2020 durchführt.*
Die Umfrage zeigt: 42 Prozent der Unternehmen betrachten ihre aktuelle Lage als schlecht oder sogar sehr schlecht, 39 Prozent sehen ihre Lage neutral. Nur etwa jedes fünfte Unternehmen (19 Prozent) beurteilt seine aktuelle Lage als gut oder sehr gut. Beim Blick auf die erwartete Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten überwiegt jedoch leichter Optimismus: Der Anteil der Unternehmen, die eine Verbesserung ihrer Situation erwarten, ist größer als der Anteil der Unternehmen, die davon ausgehen, dass sich ihre Lage verschlechtert: So erwarten rund 31 Prozent eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, 26 Prozent eine Verschlechterung. 43 Prozent erwarten keine Veränderung.
Leicht positive Bewertungen gibt es auch hinsichtlich des Koalitionsvertrages: Deutlich mehr Unternehmen bewerten ihn positiv (26 Prozent) als negativ (12 Prozent). Der Großteil der Unternehmen (62 Prozent) allerdings steht dem Koalitionsvertrag neutral gegenüber. Zuversicht herrscht mit Blick auf Standortentscheidungen für den Mittelstand: 63 Prozent der Unternehmen haben den Eindruck, dass die neue Bundesregierung die Standortbedingungen für den industriellen Mittelstand in Deutschland verbessern wird. Ein Drittel (33 Prozent) erwartet keine Verbesserung, 4 Prozent der Unternehmen können es nicht einschätzen.
„Die Hoffnungen, die der automobile Mittelstand in die neue Bundesregierung setzt, müssen für diese Ansporn und Verpflichtung zugleich sein. Klar ist: Der politische Handlungsdruck ist hoch, denn in den vergangenen Jahren ist die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Standorts erodiert. Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität müssen deshalb Leitmotiv der neuen Bundesregierung sein“, so VDA-Präsidentin Hildegard Müller.
Jedes fünfte Unternehmen will Investitionen streichen
In der Umfrage geben gut 3 von 4 (76 Prozent) Unternehmen an, eigentlich geplante Investitionen in Deutschland zu verschieben, zu verlagern oder ganz zu streichen. So plant knapp jedes vierte Unternehmen (24 Prozent) eine Investitionsverlagerung ins Ausland. Verlagerungsziele sind andere Länder der EU, Asien, andere Länder in Europa sowie Nordamerika (in dieser Reihenfolge). Damit ist der Anteil der Unternehmen, die eine Verlagerung planen, gegenüber der letzten Umfrage, die im Februar (29 Prozent) dieses Jahres durchgeführt wurde, gesunken. Demgegenüber gestiegen ist von 14 auf nun 20 Prozent der Anteil jener Unternehmen, die planen, Investitionen zu streichen. Unverändert gibt lediglich 1 Prozent der Unternehmen an, seine Investitionen in Deutschland angesichts der aktuellen Lage erhöhen zu wollen.
„Diese Zahlen sind alarmierend. Wir als deutsche Automobilindustrie wollen, dass Arbeitsplätze und Wohlstand erhalten bleiben, und wollen auch künftig hierzulande unsere Produkte und Autos fertigen. Dafür aber muss sich etwas tun am Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Bundesregierung muss jetzt alles in den Fokus nehmen, was Wachstum schafft – und das entschlossen und zügig“, so Müller.
Die Investitionstätigkeit ist am häufigsten durch die Absatzlage und die Absatzerwartung eingeschränkt. 58 Prozent gaben dies als Hauptgrund an. Im europäischen Markt mit seinem nach wie vor niedrigen Absatzvolumen – im Vergleich zum Vorkrisenniveau liegt beispielsweise die inländische Pkw-Produktion etwa 20 Prozent niedriger – sind Erweiterungsinvestitionen nicht wirtschaftlich, das Marktwachstum findet andernorts statt. Der zweithäufigste Grund ist die Kostensituation in Deutschland (16 Prozent), die auch Erneuerungsinvestitionen beeinflusst. Als dritter Grund werden Finanzierungsbedingungen angegeben (15 Prozent).
Die Herausforderungen beim Thema Finanzierung zeigt auch ein weiteres Umfrageergebnis: In den vergangenen drei Monaten haben 40 Prozent der Unternehmen, die an der Umfrage teilgenommen haben, Kreditverhandlungen mit Banken geführt. 69 Prozent dieser Unternehmen gaben an, dass die Banken sich restriktiv (z.B. höhere Zinsen und/oder Sicherheiten, kürzere Kreditlaufzeiten) oder gar verweigernd verhalten haben. Jedes fünfte Unternehmen (20 Prozent) empfand die Banken als neutral. Nur etwa jedes zehnte Unternehmen (11 Prozent) empfand die Banken in den Kreditverhandlungen als entgegenkommend oder sogar sehr entgegenkommend.
„Wem der Zugang zu Kapital schwer gemacht wird, der kann kaum investieren und sein Unternehmen nicht zukunftsfähig ausrichten. Deshalb ist Finanzierung eines der Schlüsselthemen schlechthin für die Zuliefererindustrie in Deutschland. Um die Transformation erfolgreich meistern zu können, brauchen die mittelständischen Automobilzulieferer mehr als nur den klassischen Bankkredit, sie brauchen eine echte Transformationsfinanzierung und -begleitung. Insbesondere regulatorische Stellschrauben für Banken auf nationaler und EU-Ebene müssen dafür neu bewertet und angepasst werden. Sie müssen so in Einklang gebracht werden, dass automobile Zulieferer noch besser in der Transformation von ihren Banken unterstützt und verstanden werden können. Denn den einen Zulieferer gibt es nicht, zu differenzieren ist wichtig“, betont Isabelle Kirschbaum-Rupf, VDA-Vorständin, Sprecherin des VDA-Mittelstandsforums und Gesellschafterin der Rupf Industries GmbH.
„Das Thema Finanzierungssicherung brennt den Unternehmen unter den Nägeln, umso wertvoller ist der Austausch dazu. Deshalb haben wir das Thema auf die Agenda des diesjährigen VDA-Mittelstandstages gesetzt und ihm ein eigenes Panel gewidmet“, so Kirschbaum-Rupf weiter.
Bürokratie ist weiterhin Herausforderung Nr. 1
In der Umfrage geben 88 Prozent der Unternehmen an, durch Bürokratie stark oder sehr stark belastet zu sein. Damit ist sie weiterhin Herausforderung Nr. 1 für den automobilen Mittelstand. Besorgniserregend ist, dass 42 Prozent der Unternehmen angegeben, dass ihre Geschäftstätigkeit aktuell durch Probleme in der Straßeninfrastruktur – kaputte oder gesperrte Brücken, lange Bauprojekte, Umleitungen etc. – negativ beeinträchtigt ist.
„Die schlechte Infrastruktur wird für die Unternehmen in Deutschland immer mehr zum Problem. Es ist deshalb gut, dass die neue Bundesregierung das Thema nun angeht. Klar ist aber auch: Mit dem Sondervermögen für die Infrastruktur wächst der Druck auf die Politik, für schnellere Verfahren und effizientere Strukturen zu sorgen, damit das Geld auch tatsächlich in Straßen, Schienen und Brücken ankommt“, betont VDA-Präsidentin Müller.
Die Umfrage zeigt: Die Unternehmen schätzen nach wie vor auch die Vorteile des Standortes Deutschland. Für den Standort sprechen aus ihrer Sicht vor allem das industrielle Netzwerk, die Fachkräfte, die duale Ausbildung und die politische Stabilität.
Zulieferer sind vielfältig aufgestellt
Weitere Umfrageergebnisse zeigen, wie divers die Landschaft der Automobilzulieferer ist: 35 Prozent der Unternehmen gaben an, dass ihre Geschäftstätigkeit unabhängig von der Antriebsart ist, weitere 45 Prozent haben Aufträge sowohl im Bereich der Elektromobilität als auch im Bereich der Verbrennertechnologie. Nur rund 10 Prozent der Unternehmen sind ausschließlich in der Verbrennertechnologie verortet, 3 Prozent ausschließlich in der Elektromobilität.
Der Anteil der Unternehmen, die unter einem Mangel an Fach- und Arbeitskräften leiden, ist weiter rückläufig und liegt nur noch bei 31 Prozent. Entsprechend geben auch nur noch 25 Prozent der Unternehmen an, Schwierigkeiten zu haben, den kurz- und mittelfristigen Fachkräftebedarf zu decken. Die Zahlen sind ein Alarmsignal, denn sie zeigen, dass sich die schwache gesamtwirtschaftliche Entwicklung, insbesondere in der Industrie, immer stärker auch auf dem Arbeitsmarkt zeigt.
Nicht zuletzt sorgt die Transformation in Richtung Klimaneutralität und Digitalisierung dafür, dass trotz Fach- und Arbeitskräftemangels Beschäftigung abgebaut wird. Mehr als jedes zweite Unternehmen (57 Prozent) gibt an, aktuell in Deutschland Beschäftigung abzubauen. 10 Prozent geben hingegen an, Beschäftigung aufzubauen, in 33 Prozent der Unternehmen bleiben die Beschäftigungszahlen konstant.
*Die Umfrage wurde vom 5. bis 15. Mai durchgeführt. Es haben sich 136 Unternehmen beteiligt. Damit liegen dem VDA repräsentative Aussagen zur aktuellen Lage und den Perspektiven der Automobilindustrie vor.
