VDA-Kommentierung zum HDV-Treffen in Brüssel

    VDA-Präsidentin Hildegard Müller zum HDV-Treffen in Brüssel

    Für eine wirtschaftlich tragfähige Nutzfahrzeugindustrie – was jetzt notwendig ist

    Kommentierung

    Kommentierung

    Berlin, 09. September 2025

    VDA-Präsidentin Hildegard Müller:

    „Die Nutzfahrzeugindustrie ist eine tragende Säule der Wirtschaft, ein entscheidender Treiber industrieller Wertschöpfung und kann wertvolle Beiträge zur klimaneutralen Mobilität der Zukunft leisten. Es ist höchste Zeit, sie stärker in den Blick zu nehmen – gut, dass dies nun auch auf europäischer Ebene geschieht.

    Die deutsche Automobilindustrie steht entschlossen hinter den Pariser Klimazielen. Allein von 2025 bis 2029 investieren deutsche Hersteller und Zulieferer rund 320 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Etwa 220 Milliarden Euro fließen in Sachinvestitionen, darunter den Umbau der Werke. Die Nutzfahrzeughersteller haben ihre Produktportfolios bereits angepasst und um Fahrzeuge mit alternativen Antrieben erweitert, um den Wandel hin zu klimaneutralen Technologien voranzutreiben. Fakt ist: Die Nutzfahrzeugbranche liefert. Bereits heute produzieren deutsche Hersteller z.B. serienreife schwere Elektro-Lkw mit Reichweiten von bis zu 500 Kilometern. Erste serienreife Wasserstoff-Lkw kommen auf 700 bis 800 Kilometer Reichweite.

    Nun müssen die Rahmenbedingungen stimmen, damit der Einsatz von Null-Emissionsfahrzeugen wirtschaftlich gelingen kann. Bislang fehlen jedoch eine flächendeckende Lade- und Tankinfrastruktur, geeignete Anreize für Anschaffung und Betrieb sowie wettbewerbsfähige Lade- und Tankkosten – um nur die dringendsten Bedarfe zu nennen.

    In vielen Teilen Europas gibt es bisher kaum Ladepunkte für leichte und schwere Nutzfahrzeuge, weder im öffentlichen noch im nicht-öffentlichen Raum. Der europaweite Aufbau von Lade- und Wasserstofftankinfrastruktur für Lkw und Busse muss daher massiv beschleunigt und flächendeckend erweitert werden. Der Ausbau von Megawatt-Ladesystemen (MCS) im öffentlichen Raum sollte dabei zum Standard werden, um schnelles Laden schwerer Nutzfahrzeuge zu ermöglichen. Hierfür sind die Anforderungen der AFIR zu überarbeiten und dem künftigen Bedarf an alternativ angetriebenen Nutzfahrzeugen bis 2030 und darüber hinaus anzupassen.

    Gezielte Förderprogramme für öffentliche Lade- und Wasserstofftankinfrastruktur müssen schneller und klarer ausgestaltet werden. Vorrangig geht es um den Ausbau von Netzanschlüssen, Baukostenzuschüsse sowie die Förderung von Ladepunkten und Tankstellen. Einheitliche europäische Priorisierungskriterien könnten helfen, Netzanschlussbegehren effizienter umzusetzen. Gleichzeitig erfordert der schnelle Ausbau des Stromnetzes eine sichere Lieferkette für kritische Materialien und Komponenten. Die EU muss daher für eine stabile Versorgung mit Rohstoffen wie Transformatoren, Kabeln, Elektroblechen und Halbleitern sorgen.

    Der derzeitige Regulierungsrahmen führt häufig zu Verzögerungen beim Ausbau Nfz-tauglicher Ladepunkte. Netzkapazitäten müssen dem Bedarf voraus sein und dort verfügbar werden, wo Ladebedarf entsteht – nicht erst, wenn die Nachfrage bereits besteht. Verteilnetzbetreiber (DSOs) müssen befähigt werden, vorausschauende Investitionen auf Basis prognostizierter Ladebedarfe schwerer Nutzfahrzeuge zu tätigen. Auch nationale Regulierungsbehörden brauchen ein klares Mandat, Investitionen schon vor dem Hochlauf emissionsfreier Schwerlastfahrzeuge bis 2030 zu ermöglichen. Zudem ist eine enge Koordination zwischen Herstellern, Netzbetreibern, Ladeinfrastrukturbetreibern und weiteren Marktakteuren erforderlich. Ein digitaler, einfach zugänglicher Überblick über verfügbare Netzkapazitäten in Europa wäre dabei ein entscheidender Faktor für Investitionsentscheidungen.

    Darüber hinaus müssen die Kosten für Strom und Wasserstoff wirtschaftlich tragbar sein. Die Energiesteuer sollte so reformiert werden, dass Ladestrom, Wasserstoff und erneuerbare Kraftstoffe steuerbefreit oder europaweit höchstens mit dem EU-Mindeststeuersatz belastet werden. Zudem braucht es einen Korrekturmechanismus in der CO₂-Regulierung, der den zunehmenden Beitrag CO₂-neutraler Kraftstoffe im Verkehrssektor anerkennt. Klar ist auch: Die volle Wirtschaftlichkeit emissionsfreier Antriebe wird nur erreicht, wenn fossile Kraftstoffe angemessen CO₂-bepreist werden. Deshalb muss das European Trading System (ETS-2) planmäßig 2027 starten und die nationale Bepreisung ablösen.

    All dies zeigt: Die Liste der Aufgaben ist lang, der Handlungsdruck groß. Wenn die Rahmenbedingungen nicht mit dem Hochlauf Schritt halten, kann sich keine wirtschaftlich tragfähige Nutzfahrzeugindustrie entwickeln. Deshalb braucht es Flexibilität bei der Ausgestaltung der CO₂-Regulierung und ein Strafsystem, das fair und angemessen ist. Mindestens aber sollte der ursprünglich für 2026 vorgesehene Review für schwere Nutzfahrzeuge bereits in diesem Jahr erfolgen, damit die Ziele rechtzeitig angepasst werden können.“

    Sprecherin

    Lena Anzenhofer

    Schwerpunkt Digitalisierung, Produktion und Logistik