Jetzt Arbeitsplätze in der Automobilindustrie sichern
Gemeinsame Erklärung von IG Metall und VDA
Pressemitteilung
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Offensive für Elektromobilität und CO₂-Regulierungen flexibilisieren
Einführung
Die Situation in der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie spitzt sich weiter zu. Der Zustand der Unternehmen ist zwar unterschiedlich, für die Industrie insgesamt aber ist die Lage bedrohlich. Die Herausforderungen durch den zunehmenden internationalen Wettbewerb, hohe Kosten am Standort Deutschland, Zoll- und Handelskonflikte sowie ein immer noch schwächelndes europäisches Marktumfeld nehmen zu. In China müssen deutsche Hersteller um ihre Marktanteile kämpfen, die USA setzen ihre Handels- und Industrieinteressen entschieden durch und der europäische Markt kommt weiterhin nicht an die Absatzzahlen von 2019 heran. In der Folge sind deutsche Werke nicht ausgelastet. Aktuell gehen jeden Monat in Deutschland Arbeitsplätze in der Automobilindustrie verloren, von Juni 2024 bis Juni 2025 waren es über 50.000.
Um die Frage zu beantworten, wie Automobilarbeitsplätze in Europa und insbesondere in Deutschland gesichert werden können, sind die Antworten politisch umstritten. VDA und IG Metall teilen dabei jedoch einige grundlegende Einschätzungen: Es ist notwendig, die Nachfrage auf dem europäischen Markt zu stärken, den europäischen Wertschöpfungsanteil der hier produzierten Fahrzeuge hochzuhalten und bei neuen Technologien zu steigern sowie die Entwicklungszyklen in unserer Industrie zu beschleunigen. Energiekosten müssen gesenkt werden und es braucht konsequenten Bürokratieabbau – darauf ist insbesondere der industrielle Mittelstand angewiesen.
Einigkeit besteht auch über wesentliche Defizite in den politischen Rahmenbedingungen. IG Metall und VDA fordern die Politik auf nationaler und europäischer Ebene auf, rasch die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um die Lage zu stabilisieren und der deutschen Automobilindustrie zu ermöglichen, ihren eingeschlagenen Weg zu klimaneutraler Mobilität mit guter Beschäftigung in Deutschland fortzusetzen. Dies betrifft hauptsächlich zwei Punkte:
- Die Politik muss endlich die Rahmenbedingungen für die Elektromobilität in ganz Europa schnell und umfassend verbessern.
- Sie muss die CO₂-Regulierungen flexibilisieren.
Elektromobilität europaweit schnell und entschlossen unterstützen
Die Automobilindustrie investiert hohe Summen in den Hauptpfad der Elektromobilität zur Dekarbonisierung des Verkehrs. Bis 2029 wird die Automobilindustrie weltweit mehr als 320 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung investieren sowie weitere 220 Milliarden Euro in den Auf- und Umbau von Werken. Und im Jahr 2030 wird sie etwa 200 batterieelektrische Modelle auf dem Markt haben. Dies unterstreicht den konsequenten Kurs auf die Elektromobilität und ist entscheidend, um die Zukunft der Automobilproduktion und der Beschäftigung in Deutschland zu sichern. Um diesen zentralen Technologiepfad aber erfolgreich gehen zu können, brauchen Hersteller, Zulieferer und die Beschäftigten der Branche mehr Unterstützung durch die Politik. Es bedarf einer entschlossenen industriepolitischen Initiative zur Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen für den Hochlauf der Elektromobilität und zur Verbesserung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Nur dann kann dieser Wandel für die hiesigen Standorte auch zum Erfolg werden und Wachstum und Beschäftigung sichern.
Dazu gehören die folgenden Handlungsbedarfe und Maßnahmen:
• Der Markthochlauf elektrischer Fahrzeuge muss weiter unterstützt werden, durch steuerliche Vergünstigungen für private wie gewerbliche Neu- und Gebrauchtwagen, bis hin zur Unterstützung beim Zugang zur Elektromobilität für die ganze Breite der Gesellschaft. Darüber hinaus muss die im Koalitionsvertrag angekündigte Verlängerung der Kfz-Steuer- befreiung für Elektrofahrzeuge bis zum Jahr 2035 umgehend umgesetzt werden. Da die derzeitige Regelung bereits zum Jahresende 2025 ausläuft, brauchen Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen dringend Planungssicherheit. Entscheidend ist, dass eine unmittelbare Anschlussregelung ab dem 1. Januar 2026 gewährleistet wird, um den Hochlauf der Elektromobilität nachhaltig zu unterstützen.
• Der Ausbau der Ladeinfrastrukturen für Pkw und Lkw ist europaweit deutlich zu langsam und in Europa nicht bedarfsgerecht verteilt. Hier muss vor allem die europäische Regulierung einen Rahmen bieten, um den Ladeinfrastrukturausbau inklusive der begleitenden Stromnetze massiv zu beschleunigen.
• Ladestrom ist in Deutschland zu teuer, hier müssen durch Senkung von Steuern und Abgaben sowie kluge Regulierung für mehr Wettbewerb an den Ladepunkten die Preise sinken, vor allem für das Ad-Hoc Laden. Ebenso sollte die Transparenz des Strompreises an der Ladesäule verbessert werden. Attraktive Durchleitungsmodelle sind notwendig, um den Aufbau und Betrieb von Ladeinfrastruktur finanziell und organisatorisch interessant zu machen.
• Dringender Handlungsbedarf besteht beim bidirektionalen Laden. Die erfolgreiche Markteinführung des bidirektionalen Ladens setzt einen EU-weit harmonisierten regulatorischen Rahmen und den konsequenten Abbau von Doppelbelastungen bei Stromnebenkosten voraus.
• Von zentraler Bedeutung ist der Aufbau einer resilienten und wettbewerbsfähigen Batteriewertschöpfungskette in Deutschland und Europa, um die systemische Abhängigkeit von asiatischen Lieferanten zu reduzieren. Dazu bedarf es einer gezielten Unterstützung der relevanten Teile der Batteriewertschöpfungskette, insbesondere der Batteriezellfertigung, mit dem Ziel einer schnellen Hochskalierung der Produktionskapazitäten.
• Dazu ist eine Diversifizierung der Bezugsquellen insbesondere der Rohstoffversorgung durch strategische Handelspartnerschaften, Erschließung europäischer Ressourcen und den schnellen Aufbau von Recycling-Kapazitäten notwendig. Entscheidend sind auch hier dauerhaft wettbewerbsfähige Standortfaktoren. Europas Automobilproduktion muss diesbezüglich resilienter werden.
• Um die europäischen und deutschen Wertschöpfungsanteile der hier produzierten und verkauften Fahrzeuge zu schützen und zu steigern, werden VDA und IG Metall über wirksame Konzepte dafür beraten.
• Unternehmen aus der Zuliefererbranche müssen in dieser schwierigen Umbauphase bei Liquidität und Eigenkapital für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle unterstützt werden.
• Mit der Elektrifizierung geht auch die Digitalisierung des Automobils einher. Die Politik sollte den regulatorischen Rahmen schaffen, sodass die Industrie die Digitalisierung mit Entschiedenheit vorantreiben kann, um Innovationen und Wertschöpfung in Deutschland zu realisieren. Dabei sollte eine gezielte Förderung sowie Industriekooperationen in den Technologiebereichen Software, Halbleiter und autonomes Fahren ermöglicht und begleitet wer- den; auch im Software-Defined-Vehicle liegen große Potenziale für künftige Beschäftigung.
• Auch für die schweren Nutzfahrzeuge müssen die Bedingungen für den Hochlauf des Marktes für klimafreundliche Fahrzeuge deutlich verbessert werden. Das betrifft u.a. die Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Lkw mitsamt der Priorisierung der Netzanschlüsse, der Netzkapazitäten, die H₂-Tankinfrastruktur für das Segment der Langstrecken-Lkw mit H₂-Brennstoffzelle oder Wasserstoffmotor und die Förderung des Depotladens für KMU der Logistikbranche. Die Review des Regulierungsrahmens für schwere Nutzfahrzeuge sollte vorgezogen und umgehend durchgeführt werden.
Die Elektromobilität bleibt der zentrale und richtige Weg, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung der deutschen Automobilindustrie und ihrer Standorte in der Zukunft zu sichern. Die Automobilindustrie zeigt ihren Willen zum Erfolg auch durch die Vielzahl der aktuell auf der IAA MOBILITY gezeigten neuen BEV-Modelle. Gleichzeitig müssen wir weitere technologische Lösungen ermöglichen und nutzen.
Flexibilisierungen in der Regulierung schaffen
IG Metall und VDA haben seit der Verabschiedung des aktuell gültigen Regulierungsrahmens darauf hingewiesen, dass die Ziele sehr ambitioniert sind und nur bei rechtzeitiger Schaffung der Rahmenbedingungen erreicht werden können. Heute müssen wir leider sagen: Das ist nicht in ausreichendem Maße geschehen. Der Hochlauf der Elektromobilität bei Pkw, Vans und schweren Nutzfahrzeugen bleibt deutlich hinter den Erwartungen vor wenigen Jahren zurück, als die Ziele im Rahmen einer Revision nochmals deutlich verschärft wurden. Der Markt für batterieelektrische Fahrzeuge wächst zu langsam und wirksame Maßnahmen zu Steigerung der Nachfrage und Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen fehlen. Hinzu kommt, dass es innerhalb Europas sehr große Unterschiede gibt. Die Flottenregulierung für die Hersteller hingegen hat für Europa nur einen einzigen Zielwert, das heißt, Defizite in einem Mitgliedstaat müssen durch Übererfüllung in anderen Mitgliedstaaten kompensiert werden. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel für 2035 ohne kurzfristige Korrekturen nicht mehr erreichbar.
Wir begrüßen, dass im Rahmen des anstehenden Strategiedialogs Maßnahmen zur Steigerung der Nachfrage diskutiert werden sollen. Allerdings ist die Ambition bei der Schaffung der oben aufgeführten Rahmenbedingungen nicht ausreichend und muss dringend mit der Flottenregulierung synchronisiert werden. Doch auch bei einem größeren Erfolg des Hochlaufs batterieelektrischer Fahrzeuge bis 2035 ist absehbar, dass in mittlerweile nur noch neun Jahren die Bedingungen für eine Umstellung auf 100 Prozent rein batterieelektrische Fahrzeuge auf dem europäischen Markt für neue Fahrzeuge nicht gegeben sein werden. Auch die europäische Resilienz bei Rohstoffen und Batterieversorgung sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Batterie gegenüber asiatischen Konkurrenzprodukten wird noch nicht vorhanden sein. Bei allen Transformationsanstrengungen wird eine signifikante Anzahl von Arbeitsplätzen weiter an bisherigen Antriebstechnologien und deren Wertschöpfungsketten hängen.
Wir brauchen daher einen pragmatischen Umgang mit Hybridtechnologien und erneuerbaren Kraftstoffen. So könnten nach unterschiedlichen Studien europaweit bis zu 200.000 Arbeitsplätze gesichert werden.
Plug-In-Hybride (PHEV) und Elektrofahrzeuge mit Range Extender (EREV) können auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität eine sinnvolle Rolle spielen. Diese Technologien können in der aktuellen Transformation einen stabilisierenden Effekt auf die bisherige Wertschöpfung und damit auch auf die Beschäftigung bei vielen Unternehmen der Branche haben. Diese Unternehmen brauchen jetzt schnell Sicherheit über die zukünftigen Rahmenbedingungen ihrer Geschäfte.
Daher sollten PHEV zum jetzigen Zeitpunkt nicht durch verschärfte CO₂-Bewertung („Utility Factor“) unattraktiv gemacht werden, wie es die europäische Gesetzgebung derzeit vorsieht. So würde die wirtschaftliche Tragfähigkeit dieser Technologien unterlaufen. Das wäre auch beschäftigungspolitisch in der aktuell laufenden Transformation der Standorte fatal. Mit einem sich stetig verbessernden elektrischen Ökosystem könnte hingegen die PHEV-Technologie eine stärkere Rolle bei der Elektrifizierung des Verkehrs bekommen.
Damit PHEV und EREV ihren Beitrag zur CO₂-Reduktion und zur Heranführung zurückhaltender Kundengruppen an die Elektromobilität leisten können, müssen sie allerdings auch zu einem hohen Anteil elektrisch gefahren werden. Hersteller und Politik sollten sich über pragmatische und effektiv wirksame Anreize und Maßnahmen verständigen, den elektrischen Fahranteil dieser Fahrzeuge sicherzustellen.
Wir brauchen außerdem einen anderen Umgang mit erneuerbaren Kraftstoffen im Zusammenhang mit elektrifizierten verbrennungsmotorischen Antrieben. Die EU-Kommission sollte endlich ihren Vorschlag „für die nach 2035 erfolgende Zulassung von Fahrzeugen, die ausschließlich mit CO₂-neutralen Kraftstoffen betrieben werden“ vorlegen, wie bereits mehrfach zugesagt. Schnelle Anpassungen sind hier nötig, damit für Investoren und Unternehmen Planungssicherheit entsteht und ein Business-Case dieser Technik dann neu verlässlich bewertet werden kann.
Beschäftigung fördern
Diese Maßnahmen tragen wesentlich zu einer Stabilisierung des Fahrzeugmarktes und zu positiven Beschäftigungseffekten bei. Weitere Wachstumspotenziale liegen in der Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Standorts, Investitionsattraktivität und Technologieführerschaft in den Zukunftstechnologiefeldern der Elektromobilität und Digitalisierung. Mit Blick auf die zunehmende handels- und geopolitische Volatilität in der Welt, trägt ein breiterer technologischer Ansatz zu einer stabileren Transformation der Automobilindustrie bei. Dies sichert den Zugang zu globalen Märkten und schafft Perspektiven für die Beschäftigten und für die betroffenen Standorte der Unternehmen.
IG Metall und VDA setzen sich gemeinsam dafür ein, dass die digitale und klimaneutrale Transformation der deutschen Automobilindustrie gelingt und dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und die gute Beschäftigung am Standort Deutschland dabei gewahrt bleiben.
Die IG Metall ist die größte Gewerkschaft Deutschlands und die größte Einzelgewerkschaft der Welt. Wir vertreten über 2 Millionen Mitglieder, darunter viele hunderttausend Beschäftigte in der Automobilindustrie. Gemeinsam setzen wir uns für faire Löhne, sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen ein. In Tarifverhandlungen kämpfen wir für gerechte Entlohnung und eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Mit unseren Betriebsräten sorgen wir für Mitbestimmung und eine starke Stimme der Beschäftigten in den Unternehmen. Die IG Metall ist in 7 Bezirken mit mehr als 150 lokalen Geschäftsstellen präsent. Wir verteidigen Standorte, wenn sie bedroht sind, und entwickeln Zukunftsperspektiven für die Industrie. Solidarität und Zusammenhalt sind unsere Stärke. Wir gestalten Arbeit – heute und morgen. Denn gute Arbeit braucht eine starke Gewerkschaft.
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) vereint rund 620 Hersteller und Zulieferer unter einem Dach. Die Mitglieder entwickeln und produzieren Pkw und Lkw, Software, Anhänger, Aufbauten, Busse, Teile und Zubehör sowie immer neue Mobilitätsangebote. Wir sind die Interessenvertretung der Automobilindustrie und stehen für eine moderne, zukunftsorientierte multimodale Mobilität auf dem Weg zur Klimaneutralität. Der VDA vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Medien und gesellschaftlichen Gruppen. Wir arbeiten für Elektromobilität, klimaneutrale Antriebe, die Umsetzung der Klimaziele, Rohstoffsicherung, Digitalisierung und Vernetzung sowie German Engineering. Wir setzen uns dabei für einen wettbewerbsfähigen Wirtschafts- und Innovationsstandort ein. Unsere Industrie sichert Wohlstand in Deutschland: Mehr als 740.000 Menschen sind direkt in der deutschen Automobilindustrie beschäftigt. Der VDA ist Veranstalter der größten internationalen Mobilitätsplattform IAA MOBILITY und der IAA TRANSPORTATION, der weltweit wichtigsten Plattform für die Zukunft der Nutzfahrzeugindustrie.
Kontakt IG Metall:
Alina Heisig
Pressesprecherin
[email protected]




