Kommentierung
VDA-Präsidentin Hildegard Müller zu den Ankündigungen der EU-Kommission
VDA-Präsidentin Hildegard Müller:
- „Die EU hatte versprochen, sich die Realitäten anzuschauen, zu analysieren und darauf aufbauend Flexibilisierungen und Anpassungen vorzunehmen. Das ist nicht passiert - Brüssel enttäuscht mit seinem vorgelegten Entwurf. In Zeiten zunehmenden internationalen Wettbewerbs, in Zeiten, in denen die europäische Wirtschaftskraft entscheidend ist, ist dieses Gesamtpaket aus Brüssel fatal.
- Die richtigerweise anerkannte Technologieoffenheit muss mehr als ein Lippenbekenntnis sein - auch das ist hier leider nicht der Fall. Was nach mehr Offenheit aussieht, ist mit so vielfältigen Hürden versehen, dass es droht, in der Praxis wirkungslos zu bleiben.
- Es ist vor dem Hintergrund der Realitäten am europäischen Pkw-Markt und der wirtschaftlichen Lage der Automobilindustrie (Hersteller und Zulieferer) in Europa nicht nachvollziehbar, wie die Kommission in diesen Zeiten so agieren kann. Für den Automobilstandort Europa, für Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigung ist das heute kein guter Tag. Die Ursachen der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europas werden noch nicht einmal angesprochen, das Ergebnis der Review-Prozesse nicht offengelegt. Der Handlungsbedarf wird damit falsch hergeleitet.
- Brüssel will nun neue Anforderungen an die Autoindustrie stellen - bei grünem Stahl oder erneuerbaren Kraftstoffen. Es sind Anforderungen, bei denen die jeweiligen Verfügbarkeiten nicht in unserer Macht liegen. Das heißt im Klartext: Unsere Industrie ist – wie schon bei der Ladeinfrastruktur - erneut auf Entwicklungen angewiesen, die sie nicht beeinflussen kann. Das ist das Gegenteil von Planungssicherheit. Wir werden dann bestraft, wenn andere ihre Hausaufgaben nicht machen bzw. wenn sich Erwartungen nicht erfüllen. Das war schon das bisherige Problem beim Aufbau der Ladeinfrastruktur und wird jetzt auf weitere Bereiche ausgeweitet.
- Es handelt sich um einen Vorschlag der Kommission. Im weiteren Prozess kommt nun insbesondere dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten die wichtige Rolle zu, den Vorschlag der Kommission entscheidend zu verändern. Wir wissen, dass es hier eine andere Sicht auf den Handlungsbedarf gibt, der durch die deutsche Bundesregierung und den EVP-Fraktionsvorsitzenden zuletzt noch einmal deutlich gemacht wurde. Die beabsichtigte technologische Öffnung muss im weiteren Verfahren auch tatsächlich praktisch ermöglicht werden.
Im Weiteren:
Die heutigen Vorschläge der EU-Kommission für die Automobilindustrie sind die Grundlage für eine dringende notwendige Debatte. Sie sind in der Sache bisher aber nur sehr begrenzt hilfreich und werden gleichzeitig mit weiteren Hürden verbunden. Ziel war es, auf Grundlage eines faktenbasierten Reviews pragmatische Anpassungen und Flexibilisierungen an der CO2-Flottenregulierung vorzunehmen, um die Ziele zu erreichen. Tatsächlich wurden heute allerdings vor allem neue Nachweis- und Berichtspflichten, Verschiebungen und Adaptionen vorgenommen, die weder den Realitäten Rechnung tragen, noch die dringend notwendigen Kurskorrekturen beinhalten.
Es bleibt zudem unbeantwortet, wie die Kommission mit ihren heutigen Vorschlägen dazu beitragen will, dass es zu einer signifikanten Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Europa kommt – ein Verweis auf bereits umgesetzte Maßnahmen ist nicht ausreichend. Selbiges gilt für die notwendigen unterstützenden Rahmenbedingungen für den Hochlauf der Elektromobilität insbesondere mit Blick auf den Ausbau der Lade- und H2-Tankinfrastruktur, welche die Grundvoraussetzung bleiben für das Erreichen der ambitionierten Zielvorgaben.
Bezüglich des 2035er-Ziels ist zwar von einer Anpassung die Rede. Diese ist aber an Bedingungen gebunden, die die Automobilindustrie nicht beeinflussen kann: Ob in der EU im Jahr 2035 produzierter grüner Stahl in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen vorhanden ist, entzieht sich der Einflussnahme der Automobilindustrie. Selbiges gilt für die Kopplung einer Zielanpassung an den Einsatz erneuerbarer Kraftstoffe. Werden Ziele für eine Industrie an solche Faktoren gebunden, ist eine verlässliche Planung nicht möglich. Dies hat bereits der Hochlauf der Ladeinfrastruktur in Europa in den letzten Jahren beispielhaft gezeigt.
Anstatt auf Grundlage eines angepassten 2035-Ziels technologieoffene Lösungen zuzulassen, werden nun also zusätzliche Hürden eingebaut, die nicht im Einflussbereich der Automobilindustrie liegen. Darüber hinaus bleibt die EU-Kommission eine Antwort darauf schuldig, wie die Rolle von Plug-in-Hybriden und deren Beitrag zum Klimaschutz gestärkt werden kann. Konkret notwendig wäre an der Stelle vor allem ein Aussetzen der geplanten Verschärfung des Utility Factors sowie eine ergänzende Perspektive über 2035 hinaus. Auch eine Umsetzung des Erwägungsgrund 11 für den Einsatz von CNF-Fahrzeugen, also Fahrzeuge, die nachweislich und ausschließlich mit erneuerbaren Kraftstoffen betrieben werden, scheint die Kommission schuldig zu bleiben. Die deutlichen und logisch abgeleiteten Forderungen – sei es durch den Bundeskanzler, die Ministerpräsidenten der Länder oder zuletzt klar durch EVP-Chef Weber – wurden leider nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt.
Gleichzeitig gibt es einige erste richtige Impulse. Dazu gehören Erleichterungen für den Bereich der leichten Nutzfahrzeuge, wo die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen in besonderem Maße hinter den Erwartungen zurückbleibt. Auch die Tatsache, dass der Blick bereits auf das Segment der schweren Nutzfahrzeuge, konkret das ambitionierte 2030-Ziel gerichtet wird, ist zu begrüßen, wenngleich noch nicht ausreichend. Denn klar ist: Auch bei schweren Nutzfahrzeugen mit der zugehörigen CO2-Flottenregulierung herrscht dringender Handlungsbedarf, weshalb auch hier das zugehörige Review vorgezogen werden muss. Auf dieser Grundlage müssen die offensichtlichen Handlungsbedarfe angegangenen werden. Dazu zählen insbesondere der Ausbau der Lade- und H2-Tankinfrastruktur sowie eine verhältnismäßige Anpassung von Strafzahlungen, die um ein Vielfaches höher liegen als bei Pkw.
Völlig realitätsfremd sind hingegen die Vorstellungen der Corporate Fleets Initiative und ihre Aufteilung auf die verschiedenen Mitgliedsstaaten. Diese lehnen wir entschieden ab, da sie mit Blick auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur und den Preisen an den Ladesäulen nicht den zentralen Herausforderungen beim Hochlauf der Elektromobilität gerecht werden. Bereits bestehende Initiativen sowie individuelle Dekarbonisierungsverpflichtungen sorgen für eine ausreichende Steuerung und unterstützen die Elektrifizierung von Fahrzeugflotten. Damit insbesondere auch die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugflotten gelingt, ist in erster Linie eine leistungsfähige Lade- und H2-Tankinfrastruktur entscheidend.
Der Wandel hin zu einem klimafreundlichen Straßenverkehr gelingt nicht durch mehr Regulierung, sondern nur, indem Rahmenbedingungen verbessert und Anreize geschaffen werden. Zusätzliche Maßnahmen könnten ausdrücklich kontraproduktiv wirken, indem sie die wirtschaftlich ohnehin herausfordernde Transformation weiter erschweren und die administrative Belastung für Unternehmen und Flottenbetreiber weiter erhöhen. Der Abbau, nicht der Aufbau von Bürokratie, muss auch hier eine entscheidende Rolle spielen."





Kommunikation, Events & Marketing
Simon Schütz
Abteilungsleiter