Industriepolitik

    EU-Industriestrategie: Kein klares Zeichen zur Stärkung der Wirtschaft

    Mit ihrer Industriestrategie definiert die EU-Kommission industriepolitischen Handlungsbedarf. Dazu hatte sie bereits im März 2020 eine Strategie vorgelegt. Dann kam die Coronapandemie. Im Mai 2021 legte die Kommission eine aktualisierte Strategie vor.

    Mit ihrer Industriestrategie definiert die EU-Kommission industriepolitischen Handlungsbedarf. Dazu hatte sie bereits im März 2020 eine Strategie vorgelegt. Dann kam die Coronapandemie. Im Mai 2021 legte die Kommission eine aktualisierte Strategie vor.

    Kein klares Bekenntnis zu industriellem Wachstum

    Vom Gesamtansatz her ist das Update der Industriestrategie besser als die Vorgängerversion, die sich über weite Strecken als reines Instrument zur Umsetzung des Green Deals las und andere Handlungsbedarfe vernachlässigte. Der auffälligste Schwachpunkt der 2020er-Strategie bleibt jedoch: Die EU-Kommission verzichtet erneut darauf, ein Langfristziel für die Industriestärkung zu definieren. Nur durch die Definition eines solchen Ziels entsteht eine Selbstbindung, die echten Handlungsdruck erzeugt und eine öffentliche und politische Aufmerksamkeit schafft für die Notwendigkeit einer Stärkung der EU-Industrie.

    Zweck und Hauptzielgröße einer Industriestrategie müsste sein, damit industrielles Wachstum zu erzeugen. Dieses Bekenntnis fehlt. Von daher verzichtet die EU-Kommission auch weiterhin darauf, ein Langfristziel für die Industriestärkung zu definieren (zum Beispiel Wachstum der industriellen Bruttowertschöpfung um X Prozent bis zum Jahr X), so wie ein solches auch für die CO₂-Reduktion definiert wurde (Klimaneutralität 2050).

    Ohne eine solche Zieldefinition fehlt jene Selbstbindung. Dabei hätte sie allen Grund dazu, industrielles Wirtschaftswachstum mit allen Kräften anzupeilen. Im letzten Jahrzehnt war sie nach Japan die am langsamsten wachsende Wirtschaftsregion der Welt. Sie sollte nicht das Signal senden, dass sie sich von dem Anspruch verabschiedet hat, sich im globalen Wachstumswettbewerb zu messen.

    Flankierung zur industriellen Transformation

    Die ökologische und digitale Transformation erfordern von den Unternehmen Investitionen in noch nie da gewesener Höhe – für Forschung und Entwicklung, für den Aufbau neuer Produktionsanlagen, für die Umschulung und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht zuletzt für den Aufbau einer europaweiten Infrastruktur zum Laden und Tanken. Dies bedarf nicht zuletzt auch politischer Unterstützung. Es ist daher zu begrüßen, dass die EU Ende 2020 beim Beschluss des EU-Haushalts eine Bindung eines Teils der EU-Mittel für diese Zwecke vorgesehen hat. Allerdings sollte die für die Transformation vorgesehene Anpassung des Wettbewerbs-, Kartell- und Beihilferechts sehr zeitnah erfolgen.

    Zu begrüßen ist auch, dass die Kommission gemeinsam mit der Industrie Transformationspfade für die jeweiligen industriellen Ökosysteme erarbeiten will, um den spezifischen politischen Handlungsbedarf genauer zu definieren, und dass sie dabei die Arbeit für das Ökosystem „Mobilität“ zeitlich priorisieren will. 

    Ein Manko in der Industriestrategie ist jedoch, dass Bekenntnisse zur Minimierung der volkswirtschaftlichen Transformationskosten und zur Technologieoffenheit fehlen. Für eine Minimierung der volkswirtschaftlichen Transformationskosten ist eine Einbeziehung des Verkehrssektors in den CO₂-Emissionshandel zwingend – ebenso wie die Technologieoffenheit der Politik. Die Priorisierung bestimmter Technologien durch einseitige regulatorische Vorhaben oder eine diskretionäre staatliche Investitionspolitik erhöht aber nicht nur die volkswirtschaftlichen Kosten der Transformation, sondern verengt auch die Bandbreite an technologischen Entwicklungspfaden und nimmt dem Verbraucher die technologische Wahlfreiheit.

    Strategische Autonomie und Marktoffenheit im Einklang

    Es ist richtig, dass die Kommission in ihrer Strategie einen weiteren Schwerpunkt auf die Stärkung der strategischen Autonomie legt. Die Abhängigkeit der EU-Industrie von bestimmten Rohstoffen und Produkten (wie zum Beispiel Batterien, Wasserstoff, Halbleiter, Cloudtechnologien), die aus nur wenigen Nicht-EU-Ländern bezogen werden können, machen die EU-Industrie verwundbar. Insofern ist zu begrüßen, dass die Kommission unter anderem mit der Industrie diese Abhängigkeiten und denkbare Lösungswege diskutieren will. Zu begrüßen ist ebenso, dass die Kommission neben dem Aufbau einer eigenen Produktion einen weiteren Lösungsweg darin sieht, den Außenhandel zu stärken und internationale Partnerschaften einzugehen, damit einheimische Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten weiter diversifizieren und damit die Anzahl an Bezugsmöglichkeiten kritischer Rohstoffe und Produkte erhöhen können.

    Schlechter verständlich ist aber, dass in der Industriestrategie das wichtige Instrument der Marktöffnung über weitere Freihandelsabkommen noch nicht einmal in Betracht gezogen wurde. Hier hat aber die EU sehr viel Aufholpotenzial, wie das Beispiel der großen Handelszone Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) zeigt. Auch mit Blick auf andere Ziele, wie die Umsetzung von Klimaabkommen oder Nachhaltigkeitsziele, sind Freihandelsabkommen eine wichtige Plattform, um die Zusammenarbeit auf wichtigen Gebieten zu vertiefen. Wichtig ist, dass man auf eine weitere Öffnung der weltweiten Märkte hinarbeitet und dass man zur Vermeidung strategischer Abhängigkeiten am Ende nicht doch auf protektionistische Instrumente und eine Abkopplung internationaler Lieferketten verfällt. 

    Fachgebiet Wirtschaftspolitik & Steuern

    Dr. Volker Schott

    Referent Gesamtwirtschaftliche Konjunktur, volkswirtschaftliche Analysen

    Lesen Sie mehr zum Thema