Mittelstandstag 2022

    Learnings rund um Lieferketten

    Am 17. und 18. Mai fand die Jahrestagung der mittelständischen VDA-Mitglieder unter dem Leitmotiv „Den Standort Deutschland zukunftsfest machen“ statt. Dabei standen vor allem die Themen Transformation, Nachhaltigkeit und automobile Lieferketten im Mittelpunkt.

    Am 17. und 18. Mai fand die Jahrestagung der mittelständischen VDA-Mitglieder unter dem Leitmotiv „Den Standort Deutschland zukunftsfest machen“ statt. Dabei standen vor allem die Themen Transformation, Nachhaltigkeit und automobile Lieferketten im Mittelpunkt.

    Am 17. und 18. Mai hat der Verband der Automobilindustrie den 22. Mittelstandstag in Gravenbruch in Hessen veranstaltet. Leitmotiv war „Den Standort Deutschland zukunftsfest machen“. Nachdem die Jahrestagung in den beiden Vorjahren pandemiebedingt als digitales Format konzipiert wurde, konnten sich nun die Beschäftigten der mittelständischen Verbandsmitglieder der Zulieferindustrie sowie der Anhänger- und Aufbautenhersteller wieder in Präsenz treffen: rund 200 Teilnehmende von 81 Firmen waren dabei.

    Die Bedeutung mittelständischer Firmen für die deutsche Automobilindustrie ist immens – und das spiegelt sich auch in der Struktur des VDA: Mehr als 80 Prozent der rund 670 Mitglieder stammen aus der Branche. Arndt G. Kirchhoff, Vorsitzender des Beirats der Kirchhoff Gruppe, VDA-Vizepräsident und Vorsitzender des VDA-Mittelstandskreises, lobte in seiner Eröffnungsrede den Mittelstand als Innovationgarant: „Der Mittelstand ist Jobmotor, er sichert Arbeitsplätze und Wohlstand in unserem Land. Er ist tief verwurzelt vor Ort und prägt die Identität ganzer Regionen. Und der Mittelstand ist Innovations- und Transformationstreiber. Eines ist sicher: Ohne den Mittelstand geht es nicht.“

    Die Zulieferindustrie trägt entscheidend zum Erfolg der deutschen Automobilindustrie innerhalb des internationalen Wettbewerbs bei. Ein Grund dafür ist, dass sie klimaneutrale Mobilität und Zukunftstechnologien entscheidend vorantreiben. Damit die häufig erwähnte Transformation gelingen kann, werden in den nächsten Jahren hohe Summen investiert: bis zum Jahr 2030 allein 100 Milliarden Euro in den Umbau von deutschen Werken, in den Jahren 2022 bis 2026 weltweit über 220 Milliarden Euro in den Bereich Forschung und Entwicklung.

    Auf dem Podium: Arndt G. Kirchhoff (links) und Dr. Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz (rechts)

    Die aktuellen Umstände könnten kaum herausfordernder sein

    Bei der Veranstaltung standen auch in diesem Jahr Themen im Fokus, die derzeit für mittelständische Unternehmen von entscheidendem Interesse sind. Selbstverständlich wurden dabei aktuelle Herausforderungen diskutiert. So betonte VDA-Präsidentin Hildegard Müller in ihrer Eröffnungsrede: „Sinkende Produktionszahlen ebenso wie massive Energie- und Rohstoffpreisanstiege belasten insbesondere den automobilen Mittelstand und stellen ihn vor große Schwierigkeiten, wenn es um die Sicherung von kurzfristiger Liquidität und Investitionen in die Transformation geht.“

    Lieferkettengesetze setzen neue Standards

    Ein Thema, das an beiden Tagen immer wieder zur Sprache kam: nachhaltige Lieferketten. In dem Zusammenhang kommen auf die Unternehmerinnen und Unternehmer gesetzliche Neuerungen zu:    

    1. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (abgekürzt: LkSG) tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Es verpflichtet Unternehmen dazu, mögliche menschenrechtswidrige Produktionsverfahren und Arbeitsbedingungen zu identifizieren und zu analysieren sowie Maßnahmen gegen Missstände zu ergreifen. Dabei betreffen die Vorgaben nicht nur die Aktivitäten der Firmen selbst, sondern auch die ihrer Lieferanten und Vorlieferanten in allen Phasen ihrer Lieferketten – angesichts der Größe einiger Unternehmen und der Komplexität von Produkten eine gewaltige Aufgabe.
       
    2. Doch damit nicht genug: Ende Februar 2022 hat die EU-Kommission mit dem EU-Lieferkettengesetz einen schärferen Gesetzesvorschlag über unternehmerische Sorgfaltspflichten vorgelegt. Damit werden EU-Firmen dazu verpflichtet, sämtliche Geschäftsbeziehungen ihrer Zulieferer entlang der gesamten globalen Lieferkette zu überprüfen. Ziel ist die weltweite Einhaltung von geltenden Menschenrechtsstandards und des Umweltschutzes, um eine verantwortungsvolle und nachhaltige globale Wirtschaft zu fördern. Das EU-Lieferkettengesetz geht damit deutlich über das deutsche LkSG hinaus. Einmal verabschiedet, müssen die EU-Mitgliedsstaaten die Richtlinie in nationales Recht umwandeln und Deutschland das verabschiedete LkSG anpassen.
    VDA-Geschäftsführer Andreas Rade im Gespräch mit Teilnehmenden auf dem Mittelstandstag 2022

    Lieferanten ohne Commitment werden nicht berücksichtigt

    Wie kann es angesichts der neuen gesetzlichen Vorgaben Automobilherstellern gelingen, gemeinsam mit Zulieferern nachhaltige Lieferketten zu gewährleiten? Darüber sprach Dr. Gunnar Güthenke, Vice President Procurement and Supplier Quality bei der Mercedes Benz AG, in seinem Vortrag. Güthenke verantwortet den Einkauf des Produktionsmaterials und die Kaufteilequalität weltweiter Lieferanten. Ein Fokusthema liegt hier insbesondere darin, CO2 in der Lieferkette zu minimieren: „Nachhaltigkeit ist integraler Bestandteil unserer Geschäftsstrategie. Im Rahmen unserer Ambition 2039 streben wir bis zum Jahr 2039 die CO2-Neutralität mit einem Maßnahmenpaket entlang der gesamten Wertschöpfungskette an. Entsprechende Zwischenmeilensteine sind in enger Abstimmung mit unseren Lieferanten definiert. Für unsere Produkte heißt das, dass wir bis zum Jahr 2030 vollständig elektrisch werden möchten – überall dort, wo die Marktbedingungen es erlauben. Spätestens ab 2039 werden wir bei Mercedes-Benz nur noch mit Lieferanten zusammenarbeiten, die uns ausschließlich mit CO2-neutralen Teilen beliefern“, erklärte der Einkaufs-Experte.

    Wir streben bis zum Jahr 2039 die CO2-Neutralität entlang der gesamten Wertschöpfungskette an.
    Dr. Gunnar GüthenkeMercedes Benz AG

    In der Transformation zur Elektromobilität ist das Lieferantennetzwerk ein entscheidender Baustein. Um die CO2-Neutralität stückweise zu erreichen, hat der Hersteller Mindeststandards für seine Lieferanten und alle Komponenten definiert. Zusätzlich werden diese Vorgaben Jahr für Jahr verschärft. „Wir schaffen unsere Ziele nur, wenn wir für 100 Prozent unserer Komponenten unsere drei Zieldimensionen CO2-Neutralität, Ressourcenschonung und Menschenrechte vollständig erfüllen. Darüber hinaus gibt es vier besonders herausfordernde Fokusbereiche: Batterierohstoffe, Aluminium, Stahl und Polymere“, erklärte Güthenke und sagte weiter: „Nur wenn wir in diesen Bereichen große Schritte machen, werden wir unsere ambitionierten Ziele für das Jahr 2039 erreichen.“ Aus diesem Grund hat Mercedes Benz den „Ambition Letter“ erarbeitet, mit dem sich Lieferanten dazu bekennen, künftig CO2-neutrale Produkte zu liefern. Circa 90 Prozent der Lieferanten – gemessen am jährlichen Einkaufsvolumen – haben diesen bereits unterzeichnet.

    Nach seinem Vortrag beantwortet Dr. Gunnar Güthenke (rechts) Fragen von Zuhörern

    Herausforderung: Nachhaltigkeit auditieren und dokumentieren

    Mit der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes beschäftigt sich auch Judith Diem, verantwortlich für Nachhaltigkeit im Einkauf bei Bosch. In der Gesprächsrunde zum Thema „Nachhaltigkeit auditieren und dokumentieren“ erklärte Diem gemeinsam mit Christian Arendt von der Kirchhoff Gruppe und Mitarbeitenden des VDA die Motivation, den Verein „Responsible Supply Chain Initiative RSCI e.V.“ (siehe letzter Absatz) zu unterstützen. Dabei ging Diem auch auf Fragen zum LkSG und Lieferketten-Management ein.

    Nachhaltigkeitsvorgaben müssen auch dokumentiert und für den Auditoren nachprüfbar sein.
    Judith DiemRobert Bosch GmbH

    Bei Bosch decken die Managementprozesse für die einzelnen Geschäftsbereiche bereits heute viele der künftigen Anforderungen ab. Jetzt heißt es, die neuen Vorgaben der Lieferkettengesetze in die bestehenden Prozesse zu implementieren und bei Bedarf weiterzuentwickeln. Doch so einfach sei das nicht: „Eine effiziente Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg gelingt, wenn die Beteiligten in der Lieferkette vergleichbare Methoden und Ergebnisse verwenden. Aufgrund der künftigen Regelungen müssten Unternehmen jeweils Ihre Lieferanten zudem noch teils viel umfassender zu Nachhaltigkeitsaspekten verpflichten als heute. Das muss auch in den zeitlichen Abläufen künftiger Managementprozesse abgebildet werden“, sagte Diem und erklärte weiter: „Zudem müssen Nachhaltigkeitsvorgaben auch dokumentiert und für den Auditoren nachprüfbar sein.“

    Vor diesem Hintergrund sprach sich Diem dafür aus, dass sich die Mitglieder innerhalb des VDA weiterhin zusammenschließen und gemeinsam Standards für die gesamte Lieferkette erarbeiten – somit könnten sie den Sorgfaltspflichten und den kommenden EU-Regelungen im Sinne des Lieferkettengesetzes leichter nachkommen.

    Hildegard Müller beim Rundgang durch die Ausstellung der Kooperationspartner

    Der VDA engagiert sich für mehr Umwelt- und Arbeitsschutz

    Der VDA will die Akteure im Automobilsektor dabei zu unterstützen, Nachhaltigkeit in den Lieferketten zu etablieren. Deshalb hat der Verband gemeinsam mit 14 weiteren Gründungsmitgliedern den Verein Responsible Supply Chain Initiative RSCI gegründet. Ziel ist es, einen standardisierten Prüfmechanismus zur Evaluierung der Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen in automobilen Lieferketten zu entwickeln und konkrete Unterstützung anzubieten. Das Programm unterstützt außerdem die Firmen dabei, die Anforderungen der Kunden, des Gesetzgebers und der Stakeholder umzusetzen. Somit leistet RSCI auch einen Beitrag zur Verwirklichung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht der Unternehmen. Weitere Vorteile: Die Ergebnisse können unter Beachtung kartellrechtlicher Regel mit Unternehmen geteilt werden. Diese Vorgehensweise der gegenseitigen Anerkennung vermeidet somit Mehrfach-Auditierungen.

    Mittelstandspolitik und Wertschöpfungsketten

    Sebastian Brunkow

    Fachgebietsleiter