Das Mitmach-Unternehmen

    IAV setzt bei der Transformation auf Freiwilligkeit

    Stand: 19. März 2024

    Die meisten Unternehmen der Automobilbranche haben derzeit mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen. Hier daher ein weiteres Beispiel für erfolgreichen Umgang mit den Herausforderungen: Auch dem Berliner Entwicklungspartner IAV GmbH fällt es in einzelnen Abteilungen mitunter schwer genügend Fachpersonal zu finden. Im Wettbewerb um das rare Personal setzt das Unternehmen zunehmend auf junge Talente und bietet auch für erfahrene Crewmitglieder verschiedenste Qualifizierungsprogramme an.

    2023 war ein besonderes Jahr für die Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV). Genau vierzig Jahre ist es her, dass das Unternehmen auf Initiative des damaligen Leiters des Fachgebiets Kraftfahrzeuge der TU Berlin entstand, als Ausgründung aus der Universität. Heute zählt das Unternehmen mit seinen 7.500 Mitarbeitenden und zahlreichen Standorten im In- und Ausland zu den weltweit führenden Hochtechnologie-Dienstleistern der Automobilindustrie. IAV treibt nicht nur die aggregatsübergreifende Weiterentwicklung von Antriebssträngen voran, sondern bietet auch modernste Lösungen in den Bereichen Software, Fahrassistenzsysteme, Autonomes Fahren, Robotik und Landwirtschaft.

    Klingt erst einmal nach einer guten Aufstellung für die Zukunft. Doch auch beim Thema Personal musste IAV neue Wege gehen.

    Der größte Standort von IAV liegt in Gifhorn (Niedersachsen).

    Die Transformation 2.0

    „Bei der Transformation 1.0 haben wir viele Fehler gemacht“, räumt Betriebsratsvorsitzende Tanja Schneider unumwunden ein. „Wir haben versucht die Transformation von oben anzustoßen, sind auf die Belegschaft zugegangen mit der Botschaft: Ihr müsst Euch verändern, denn Eure Rolle im Unternehmen wird es nicht mehr lange geben. Das war nicht sehr erfolgreich und auch nicht an die Strategie des Unternehmens angelehnt.“

    Die Konsequenz: Ablehnung des Transformationskonzepts seitens der Angestellten. Doch bei IAV hat man schnell dazugelernt. Inzwischen entscheiden die Mitarbeitenden selbst, ob sie sich transformieren wollen oder nicht. „In unserem aktuellen Tarifvertrag ist ein festes Qualifizierungsbudget verankert. Jedem, der bei IAVl tätig ist, stehen zwei Stunden für Weiterbildungen pro Woche tarifvertraglich zu.“, sagt Schneider. Damit verbunden sind weitere hohe Investition in Qualifizierung und Weiterbildung der Belegschaft.

    In unserem aktuellen Tarifvertrag ist ein festes Qualifizierungsbudget verankert. Jedem, der bei IAV tätig ist, stehen zwei Stunden für Weiterbildungen pro Woche tarifvertraglich zu.
    Tanja SchneiderBetriebsratsvorsitzende IAV GmbH

    Derzeit stehen unter dem internen Motto „Fit for Future“ zwölf verschiedene Qualifizierungsprogramme zur Wahl, etwa in den Berufsfeldern Softwareentwicklung oder Data Analysis. „Es dauert einige Wochen bis hin zu drei Jahren, um eines der Programme zu absolvieren. Je nach persönlichem Kenntnisstand und Qualifizierungsziel. Dafür kommen sie teilweise fast einer komplett neuen Ausbildung gleich“, sagt Personalchefin Michaela Link.

    Neue Stellen werden bei IAV direkt von den technischen Bereichen im sogenannten Jobcafé vorgestellt. Das bietet den Transformationswilligen mehr Orientierung bei der Wahl des Qualifizierungsprogramms. Dabei scheint das Prinzip Freiwilligkeit bei der Transformation für IAV aufzugehen. Ein Großteil der Belegschaft in Arbeitsfeldern ohne gesicherte Zukunftsperspektive nehmen die Angebote in Eigeninitiative wahr. Insgesamt konnte IAV seit 2019 bereits rund 1000 Menschen erfolgreich transformieren.

    Das Mitmach-Unternehmen

    Dass IAV eine Ausgründung der TU Berlin ist, lässt sich auch heute noch gut erkennen. Ein Beispiel hierfür ist das „Manifest des Lernens“: Wer eine Weiterbildung machen will, muss damit nicht erst zur Chefetage, sondern kann sie direkt aus dem IAV-Schulungspool auswählen und teilnehmen. Ein weiteres Beispiel ist der sogenannte Innovationsfonds. „IAV ist ein Mitmach-Unternehmen. Hier kann man nicht nur anpacken, sondern auch Ideen einbringen und umsetzen. Wer eine Idee hat, kann sie pitchen. Wenn die Präsentation überzeugt, wird Geld aus dem Innovationsfonds von IAV für die Idee bereitgestellt, damit die Technologie erforscht und zum Beispiel ein erster Prototyp entwickelt werden kann“, sagt Tanja Schneider.

    Neben den branchenüblichen Goodies wie einer flexiblen Mobilarbeitsregelung, einer betrieblichen Altersvorsorge, einem Familienservice, einem Zeitwertkonto für den früheren Renteneinstieg oder ein Sabbatical und vielem mehr, sind es Mechanismen wie der Innovationsfonds, die IAV gerade auch für junge Arbeitskräfte interessant machen sollen. „Vor allem in der Softwareentwicklung ist es schwer für uns geworden, da fischen alle im gleichen Teich. Und zwar nicht nur die Autohersteller, sondern auch Start-ups und Firmen wie Amazon oder Google“, beklagt die Personalchefin. „Früher lag unser Fokus auf berufserfahrenen Bewerberinnen und Bewerbern, das ist heute in der Breite kaum noch zu erreichen. Heute setzen wir verstärkt auf Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger und bilden Studierende direkt aus.“

    Am meisten freut die IAV-Personalabteilung sich, wenn junge Frauen in den technischen Bereichen anfangen. Ein firmenweiter Frauenanteil von 25 Prozent bei Neueinstellungen ist das erklärte Ziel, aktuell liegt man noch bei 17,4 Prozent Frauenanteil insgesamt. Damit sich das ändert, legt IAV sich ordentlich ins Zeug, bietet unter anderem ein spezielles Qualifizierungsprogramm für Frauen an. Außerdem werden derzeit Leadership in Teilzeit und Shared Leadership Konzepte pilotiert, um die Vereinbarkeit von Familie und Karriere weiter zu vereinfachen.

    „Vor allem in der Softwareentwicklung ist es schwer für uns geworden, da fischen alle im gleichen Teich. Und zwar nicht nur die Autohersteller, sondern auch Start-ups und Firmen wie Amazon oder Google.
    Michaela LinkExecutive Vice President HR IAV GmbH

    IAV optimiert Weiterbildungsförderung mit der Politik

    Vereinfachen will IAV auch die Voraussetzungen für die staatliche Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen. Bisher kann der Entwicklungspartner der Automobilindustrie davon nämlich nicht profitieren. „Die Hürden für das Chancenqualifizierungsgesetz sind hoch. Unter anderem sehen sie vor, dass eine Qualifizierungsmaßnahme mindestens 120 Stunden in Präsenz beinhalten muss, um förderfähig zu sein“, bemängelt Schneider. Tatsächlich kommen die Qualifizierungsprogramme im IAV-Angebot in Summe auf deutlich mehr als 120 Stunden, die einzelnen Elemente aber nicht und vieles findet auch digital statt.

    Der nachträglich von IAV auf Elektroantrieb umgerüstete Doppeldeckerbus auf der IAA MOBILITY in München.

    Doch bei IAV ist man pragmatisch. „Anfang 2023 war Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, bei uns zu Gast und wir haben die Schwierigkeiten mit der Förderung angesprochen. Das Ergebnis ist ein Pilotprojekt, das wir mit der Politik monitoren, um Lerneffekte mitzunehmen. Am schönsten wäre es natürlich, wenn es zu einer Anpassung der Fördervoraussetzungen käme“, sagt Link. Man darf gespannt sein, was bei dem Projekt herauskommt. Vielleicht baut sich IAV vierzig Jahre nach seiner TU-Ausgründung noch ein weiteres Standbein als Politikberatungsstelle auf. Die Firmenmentalität von IAV tritt an dieser Stelle jedenfalls deutlich zutage: "Wenn es ein Problem gibt, entwickeln wir eben eine Lösung.“

    Fachgebiet Mittelstandspolitik und Wertschöpfungsketten

    Lea Bergmann

    Referentin