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- Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union

Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union
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Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Zusammenhalt auf dem Prüfstand
Diese veränderten politischen Mehrheiten spiegeln sich auch in der Zusammensetzung der neuen Europäischen Kommission wider, die am 1. Dezember 2024 ihr Amt unter der Führung von Ursula von der Leyen angetreten hat. Eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder gehört der Parteienfamilie der EVP an. Außerdem zeigt die neue Struktur, dass die Zuständigkeiten der Kommissionsmitglieder von vielen – bewusst angelegten – Überschneidungen geprägt sind. So arbeiten an dem Automotive Industry Action Plan gleich mehrere Kommissarinnen und Kommissare mit. Dies deutet auf eine Machtzentrierung bei der Kommissionspräsidentin hin, die bei Unklarheiten die richtungsweisenden Entscheidungen treffen kann. Kritisch zu beobachten ist zudem, dass die Kommission von ihrer Zusage abgerückt ist, einen hochrangigen Vertreter für KMU zu ernennen. Einen besonderen Schwerpunkt legt die neue Kommission auf die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, wobei sie dies explizit nicht als eine Abkehr vom European Green Deal verstehen will. Grundlage für die Zielsetzungen der Kommission waren unter anderem der Bericht von Mario Draghi zur Wettbewerbsfähigkeit der EU sowie der Bericht von Enrico Letta zum EU-Binnenmarkt, die im Auftrag der Kommission und des Europäischen Rates erstellt wurden.
Von der Leyens zweite Amtszeit und die Weichenstellung für Europas Wettbewerbsfähigkeit
Die anhaltende Konjunkturschwäche in großen Teilen der Welt sowie schwierige strukturelle Rahmenbedingungen für den industriellen Mittelstand in Deutschland und Europa treffen die Automobilzulieferer hart: Unter den Erwartungen bleibende Stückzahlen, schwankende Abrufe der Kunden, überdurchschnittliche Kosten für Arbeit und Steuern sowie inflationäre Effekte verstärken die transformationsbedingten Herausforderungen der Zulieferer. Strategien für die fortschreitende Digitalisierung von Produktion und Verwaltung sowie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) können wiederkehrende Aufgaben automatisieren, Prozessschritte beschleunigen und die Prozessqualität durch automatische Fehlererkennung verbessern. Daher stand der VDA-Mittelstandstag 2024 ganz im Zeichen der KI. Der Mittelstandstag, der jährlich im Frühjahr stattfindet, ist das wichtigste Forum der Zulieferer im VDA. Mitglieder tauschten ihre Erfahrungen aus, und Experten stellten die aktuellen Entwicklungen vor.
Europas Wettbewerbsfähigkeit unter Druck: Draghi und Letta fordern tiefgreifende Reformen
Mario Draghi, der ehemalige Premierminister Italiens und frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, nimmt in seinem Bericht eine schonungslose Bestandsaufnahme des Zustands der Wettbewerbsfähigkeit der EU sowie einzelner Wirtschaftssektoren vor. Er betont, dass Europa in kritischen Bereichen an globaler Wettbewerbsfähigkeit verliere, insbesondere gegenüber den USA und China. Am Beispiel der Automobilindustrie legt er dar, dass eine ambitionierte Klimapolitik mit einer ebenso ambitionierten Industriestrategie gepaart werden müsse, um erfolgreich zu sein. Hier habe die Europäische Union Nachholbedarf: Herausforderungen wie hohe Energiekosten, Fachkräftemangel, regulatorische Komplexität und eine unzureichende Infrastruktur erschwerten derzeit den Übergang zu Elektromobilität und automatisierten Fahrzeugen. Draghi unterstreicht zudem, dass die EU ihre technologische Führungsrolle im Automobilsektor nur durch massive Investitionen in Innovationen, Batterietechnologie und Halbleiter sichern könne. Während Draghi einen besonderen Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU wirft, hebt Letta in seinem Bericht Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarktes hervor. Letta unterstreicht dabei die Bedeutung der Bereitstellung von Finanzmitteln für die Transformation und die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Vertiefung der Kapitalmarktunion. Investitionen in die Straßeninfrastruktur und in alternative öffentliche Kraftstoffinfrastrukturen für schwere Nutzfahrzeuge seien notwendig, um die Dekarbonisierung gewerblicher Flotten zu gewährleisten. Hier müssten Industrie, Energieanbieter, Netzwerkbetreiber und die Politik gemeinsam agieren, so Letta. Diese Ansätze sind zweifellos sinnvoll, jedoch nicht grundlegend neu.
Die grundlegenden Schlussfolgerungen beider Berichte werden zu einem großen Teil von der deutschen Automobilindustrie geteilt – insbesondere im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit, den Bürokratieabbau und eine umfassende Industriestrategie, die die ambitionierten Ziele der Transformation unterstützend begleitet. Ein genauer Blick auf die nun richtungsweisenden Pläne ist daher essenziell.
Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Transformation und klimaneutrale Mobilität
Die Automobilindustrie leistet in Europa einen wichtigen Beitrag zu Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand. Wie von Mario Draghi beschrieben, müssen die Klimaziele mit einer Industriepolitik unterstützt werden, um die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Transformation zu schaffen. Der Action Plan für die europäische Automobilindustrie, welchen die Kommission am 5. März 2025 im Anschluss an die Strategiedialoge vorgelegt hat, setzt diesbezüglich richtige Impulse, insbesondere für den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Jedoch bleibt eine Gesamtstrategie und ein notwendiger Politikwechsel aus. Die Abwendung von potentiellen Strafzahlungen durch einen Banking & Borrowing Mechanismus über einen Zeitraum von drei Jahren ist hilfreich, aber zu kurz. Eine schrittweise Einführung strengerer Grenzwerte, ein sogenanntes „Phase-In“, wäre effektiver.
Ein starker Binnenmarkt und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für Europas Zukunft
Für ein wettbewerbsfähiges Europa sind ein starker Binnenmarkt, international wettbewerbsfähige Standortfaktoren und eine moderne Infrastruktur unerlässlich. Auch Enrico Lettas Empfehlungen zur Vertiefung des Binnenmarktes und einer echten Kapitalmarktunion sind daher richtungsweisend. Die weitere Vertiefung und Vollendung des Binnenmarktes sind essenzielle Schritte für den Erhalt und die Stärkung der EU und ihrer Wirtschaft – insbesondere auch um auf internationaler Ebene Wettbewerbsvorteile zu sichern. Standortfaktoren umfassen dabei unter anderem den Auf- und Ausbau der Halbleiter- und Batteriewert-schöpfungskette in Europa, eine Vereinfachung der Gesetzgebung und ein Abbau der Bürokratie, die insbesondere auch mittelständische Unternehmen der Automobilindustrie stark belastet. Der Clean Industrial Deal der EU offenbart, dass die Kommission Handlungsbedarf bei der Standortattraktivitäterkennt, eine Abkehr vom Konzept der überbordenden Regulierung bleibt jedoch aus. Daher ist es positiv, dass die Kommission diese Themen in ihrem Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit und mit den Omnibus-Initiativen angehen möchte.
Eine schlanke und konsistente Regulatorik, ebenso wie praxisnahe Standards sind außerdem im Bereich der Digitalisierung benötigt, um unter anderem die Weichen für das autonome und vernetzte Fahren zu stellen. Hier bedarf es insbesondere einer Erweiterung des Rechtsrahmens für die Großserie, um Europa als attraktiven Markt zu positionieren. Darüber hinaus muss die EU faire und sichere Rahmenbedingungen für die Wertschöpfung aus fahrzeuggenerierten Daten schaffen, damit innovative datenbasierte Geschäftsmodelle florieren können. Mit dem VDA-ADAXO-Konzept und interoperablen Datenplattformen wie dem Mobility Data Space oder Catena-X bietet die Automobilindustrie bereits Konzepte, die einen fairen, sicheren und diskriminierungsfreien Zugriff ermöglichen.
Wettbewerbsfähigkeit sichern: Freihandel, Standortstärke und industriepolitische Weichenstellungen für Europas Zukunft
Der Erfolg der grünen und digitalen Transformation in Europa hängt maßgeblich von der Exportstärke seiner Industrie ab. Die Wahrung des Freihandels und die Erschließung neuer Absatzmärkte sind insbesondere in geopolitisch instabilen Zeiten für das europäische Wirtschaftsmodell unerlässlich. Eine aktive Freihandelsagenda, die insbesondere eine Ratifizierung des Abkommens mit Mercosur sowie den Abschluss der Verhandlungen mit Indien und den ASEAN-Staaten vorantreibt, würde zudem zur Diversifizierung der
Lieferketten und zur Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung beitragen. Als wichtige Handelspartner sind die USA und China von großer Relevanz. Differenzen sollten im Dialog gelöst werden, um die Eskalation eines Handelskonflikts zu vermeiden. Ebenso sollten Handelsschutzinstrumente nur dort angewendet werden, wo es notwendig ist, und stets nach Konsultation der Industrie. Protektionistische Maßnahmen sind grundsätzlich zu vermeiden, stattdessen sollten die Standortfaktoren gestärkt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Auch im Dialog mit China sollte eine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden werden, um die eingeführten Zölle auf Elektrofahrzeuge wieder abzubauen. Das Jahr 2024 hatte großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf die Automobilindustrie in der EU. Die Herausforderungen für das Jahr 2025 nehmen nicht ab – insbesondere hinsichtlich des europäischen Industriestandorts sind weitere richtungsweisende Entscheidungen nun erforderlich. Dabei muss Deutschland als größter Mitgliedstaat und Herz der Automobilindustrie in Europa sein Gewicht auf EU-Ebene stärker einbringen. Europa braucht eine klare und verlässliche Stimme, um zentrale industriepolitische Themen zukunftsorientiert voranzutreiben Die deutsche Automobilindustrie wird indes den Herausforderungen entgegentreten, wettbewerbsfähig agieren und der Antrieb für Europas Wirtschaftsstärke auch in Zukunft bleiben.